Früher Morgen Anfang April in Davos: Pia Ruttner-Jansen schwingt die Skipiste am Brämabüel runter – dann biegt sie unvermittelt nach rechts ins freie Gelände ab. Aber nicht für eine Abfahrt im feinsten Pulver, denn die Geomatikerin ist nicht zum Vergnü­gen hier. Die Forscherin am Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF ist auf dem Weg zu ihren Messstationen. Ziel ist, die Sicherheit auf Bergstrassen, Bahnlinien und Skipisten im Winter zu erhöhen. Zwei Laserscanner hat Ruttner-Jansen mit ihren Kolleginnen und Kollegen am 23. November 2023 am Brämabüel installiert, abseits der nördlichsten Piste des Jakobshorn-Skigebiets in Davos, einen auf 2255, einen auf 2191 Meter über dem Meeresspiegel. Mit ihnen hat sie den Winter über einen Lawinenhang beobachtet.

Mehr Daten für Sperrung
Funktioniert das System, sollen seine Ergebnisse künftig als Entscheidungshilfe dienen. Denn bislang liegen nur punktuell Daten vor, auf deren Basis die Verantwortlichen entscheiden, ob sie einen Verkehrsweg sperren, erklärt Ruttner-Jansen: «Der Entscheid basiert meist auf Wetter- und Schneedaten, dem Lawinenbulletin und lokalen Beobachtungen und Geländekenntnis­sen, kombiniert mit der persönlichen Erfahrung der Beteiligten.» Ihr Projekt soll mit Daten direkt aus potenziellen Anrissgebieten eine bessere Grundlage liefern.

Auf Lawine ist Verlass
Im Winter ist sie mehrmals zur oberen Messstation aufgebrochen, um nach ihr zu sehen und in der Nähe Schneeprofile zu erstellen. «An die untere Station komme ich nicht ran, der Weg führt durch den 30 bis 45 Grad steilen Lawinenhang, den wir vermessen, das ist zu gefährlich», sagt Ruttner-Jansen. Denn auf die Wildi-Lawine, benannt nach dem gleichnamigen Hof, neben dem die Lawine vorbeirauscht, ist Verlass. «Diese Lawine kommt eigentlich jedes Jahr mehrmals», sagt Ruttner-Jansen. In der Vergangenheit musste die Strasse ins Dischmatal immer mal wieder gesperrt werden. Das schränkt in diesem Fall vergleichsweise wenige Menschen ein, denn das Tal ist nur schwach besiedelt. Anders ist das, wenn Zufahrtswege zu grossen Wintersportorten gesperrt sind. So war beispielsweise Zermatt 2018 eine Woche von der Aussenwelt abgeschnitten, mit negativen Folgen für Touristen, Gastronomie und Hoteliers. Der gesamte Schaden überstieg laut Ruttner-Jansen die Millionengrenze.

Mit ihren Messstationen hat sie im Blick, wie die Schneehöhen im Anrissgebiet der Lawine verteilt sind. Eigentlich geht das auch mit Hilfe von Luftaufnahmen aus dem Flugzeug oder mit einer Drohne. «Aber wir haben eine höhere zeitliche Auflösung», nennt die Wissenschafterin Vorteile ihrer Methode. Denn sie misst stündlich, und ihre Ergebnisse sind oft auf den Dezimeter genau, manchmal noch besser. Weiterer Pluspunkt sind die niedrigen Kosten. Rund 30 000 Schweizer Franken kosten die beiden Stationen zusammen inklusive Helikoptertransport und Windrad. 

System mit Potenzial
Am Ende der Saison 2023/24 hat sie bereits erste Ergebnisse zusammengefasst. «Es zeigt sich schon jetzt das hohe Potenzial des Systems», sagt Ruttner-Jansen. Auch wenn gegen Ende des Winters nur noch eine Messanlage stand. Die zweite, tiefer gelegene hat eine grosse Gleitschneelawine aus dem Wildi-Anrissgebiet am 14. April umgerissen. Dieses Risiko hatten die Forschenden bewusst in Kauf genommen, um wertvolle Informationen aus dem Anrissgebiet der Lawine zu bekommen. Bis nächsten Herbst soll sie wieder stehen, dann besser geschützt.

Zusätzlich will Ruttner-Jansen in der kommenden Saison 2024/25 ihre Resultate erweitern und plant zusätzliche Messstationen an einem zweiten Ort: «Ein Südhang zum Vergleich wäre ideal.»