Warum sind vier Engadiner Vertei­diger im Kader des Schweizer Eishockey-Rekordmeisters HC Davos? Zufall? HCD-CEO Marc Gianola, einst selber Verteidiger und Captain, schmunzelt. Er will weder Ja noch Nein sagen. Man lege das Augenmerk im Klub darauf, junge eigene Spieler nachzuziehen. Und darum sind nebst Graubünden-Rückkehrer Nico Gross (24) und Davyd Barandun (24) neu mit Gian Leipold (19) und Guus van der Kaaij (17) zwei weitere Engadiner im Team von Cheftrainer Josh Holden. Zumindest im National-League-Kader. Ob sie in den Ernstkämpfen auch zum Einsatz gelangen, wird sich zeigen. Denn bei den zwei Youngsters kommt noch die Belastung durch die U-20-Elite und die U-Nationalmannschaften der Schweiz hinzu. Bei van der Kaaij der U-18 und der U-20. «Sie trainieren jetzt mit der ersten Mannschaft, wo sie dann eingesetzt werden ist Sache der Trainer», betont Gianola. 

Nico Gross, der junge Routinier
Bereits Schweizermeister mit dem EV Zug und mit Nordamerika-Erfahrung ausgestattet ist Nico Gross. Der 24- Jährige weist in noch jungen Eisho­ckey-Jahren schon viel Routine auf. Der Pontresiner ist aus der Zentralschweiz in die Berge zurückge­kehrt. In Davos fühlt er sich wohl und mit der Vorbereitung im Landwassertal ist er durchaus zufrieden. Sie sei etwas anders als beim EVZ, zumindest was das Sommertraining anbelange. Die Spielweise des HCD unterscheide sich hingegen nicht allzu sehr von jener des EV Zug. Was wohl auch mit dem HCD-Trainer Josh Holden zu tun hat, der lange Jahre als Spieler und Assistenztrainer beim EVZ tätig war. «Josh kenne ich natürlich noch aus meinen Zuger Zeiten», sagt Nico Gross zu den Erfahrungen mit seinem jetzigen Davoser Trainer. In den Vorbereitungsspielen kam Nico mit Zuzug Julius Honka (vom SC Bern) an der Seite zum Einsatz. «Wir passen sehr gut zusammen, Julius ist ein megaguter Typ», freut sich Nico über seinen Abwehrpartner. Und was ist für ihn im Vergleich mit den letzten Jahren auch noch anders? «Die Busfahrten, sie sind länger geworden», lacht der Engadiner, «in Zug waren alle Auswärtsfahrten näher.» 

Dass neu vier Engadiner Verteidiger im NL-Kader des HC Davos stehen, lässt Nico Gross leicht schmunzeln. «Aber das ist eher Zufall», sagt er. Selbst will er in Davos «einen Schritt vorwärts machen», mehr Verantwor­tung übernehmen im Spiel. Für CEO Marc Gianola ist klar, Nico Gross müsse jetzt den Schritt in die Nationalmannschaft machen. Das hofft Nico selber auch, er hat das Prospect-Camp der Nati in diesem Sommer genossen und viel gelernt. 

Baranduns 255 NL-Spiele
Auch er ist erst 24-jährig, dabei scheint er schon ewig dabei zu sein: Davyd Barandun, in der Ukraine geboren, aber Schweizer und im Engadin aufgewach­sen. Zumindest bis 2014 beim EHC St. Moritz, seit zehn Jahren in Davos. Vorerst im Nachwuchs, aber mit dem National-League-Debüt schon 2017. 255 NL-Spiele hat Davyd in der Abwehr des HC Davos absolviert. Letztes Jahr kam der Engadiner auch mal als Stürmer zum Einsatz. «Das hatte auch mit unseren vielen Verletzten zu tun, da musste ich vorne einspringen», sagt Davyd Barandun. «Ich wollte dem Team helfen», erklärt er, eine Aussage, die auch seinem Charakter entspricht. Er ist keiner, der auf dem Eis mit extra­vaganten Aktionen brillieren will. «Er hat stets Schritt für Schritt gemacht und muss nun seine Steigerung bestätigen», sagt Marc Gianola über den Abwehrspieler aus Madulain. 

Mit der Saisonvorbereitung ist Da­vyd Barandun zufrieden. «Wir haben gegenüber der letzten Saison nicht allzu viel verändert. Aber insgesamt sind wir stabiler geworden», glaubt er. Im letzten Jahr erhielt Barandun auch mehr Eiszeit als früher. Er hofft, dass sich diese Steigerung fortsetzt. Und er freut sich, dass die Bündner Fraktion beim HCD auf diese Saison hin noch stärker geworden ist. «Es ist wichtig, Spieler aus der Region im Team zu haben.»

Kontakt mit seinen früheren Engadiner Kollegen hat Davyd noch immer. Andererseits kann er sich auch mit seinem 18-jährigen Bruder Arkady austauschen, der in der U-20-Elite von Davos spielt. 

Gian Leipold, das Leichtgewicht
Der Dritte im Bunde und damit der Zweitjüngste ist Gian Leipold. «Die Aufnahme von Gian ins NL-Kader entspricht unserem Konzept, Spieler aus dem eigenen Nachwuchs einzubauen», betont Marc Gianola. Der Angesprochene ist 2019/20 vom EHC St. Moritz zum HC Davos gewechselt. Er gehörte seither stets den U-Natio­nalmannschaften der Schweiz an, zuletzt der U-19. Und ist einer von drei aus dem Captainteam der Davoser U-20 Elite. 

Auf das Ludains-Eis stand Leipold schon im zarten Alter von drei Jahren. Direkt neben der Eisbahn aufge­wachsen, gab es für ihn nur Eishockey. Beim EHC St. Moritz durchlief er die Nachwuchsstufen, ehe er ins Landwassertal zu einer Gastfamilie kam. Im Gegensatz zu anderen HCD-Jung-Eishockeyanern geht Gian Leipold nicht ins Sportgym­nasium, sondern absolviert die KV-Lehre beim Rekordmeister. Im Kader der ersten Mannschaft ist er gut aufgenommen worden, sein erster Ansprechpartner ist Assistent und Verteidigertrainer Walteri Immonen. Im Vergleich mit seinen Abwehrkollegen ist Gian Leipold ein Leichtgewicht mit seinen 78 Kilogramm. «Anfangs Sommertraining hatte ich nur 72 Kilo», verweist er auf die Gewichtszunahme. 


Talent mit Perspektiven
Der Jüngste der vier Engadiner ist Guus van der Kaaij (17). Der gebürtige Niederländer, der aber in Davos und vor allem im Engadin aufgewachsen ist, lacht, wenn man ihn auf seine ersten Kontakte mit dem Eishockey anspricht. «Vor meinem Wechsel in die Schweiz hatte ich noch nie Schnee gesehen und meine Eltern hatten keine Ahnung von Eishockey.» Er habe damals in Davos die Eisbahn gesehen und aus Neugier mal mit Eislaufen begonnen. Sechsjährig ging er aufs Eis, dann zog seine Familie ins Engadin, wo seine Eltern in Führungsposition in der Hotellerie tätig sind. In der Hockeyschule beim EHC St. Moritz konnte Guus auf Trainer Valentin Bissig vertrauen. Sein Talent fiel sofort auf, für sein Alter war er zudem gross und kräftig. Schon bald wurden die Scouts auf ihn aufmerksam. 2022 zog Guus van der Kaaij ins Sportgym­nasium in Davos und wurde gleich zum Leistungsträger in den Nachwuchsteams des Rekordmeisters. Und ebenso in den Schweizer Juniorenauswahlen. Letztes Jahr durfte er als erst 16-Jähriger sogar erstmals mit der ersten Mannschaft trainieren. 

Guus van der Kaaij ist bodenständig geblieben, weiss, dass er noch sehr viel lernen muss. Das hat ihm auch der U-18 Hlinka-Cup vor Kurzem gezeigt, in dem man zwar Deutschland besiegt hat, jedoch gegen Schweden und die Nordamerikaner empfind­liche Niederlagen einstecken musste. Guus sieht seine Stärken offensiv wie defensiv, er spielt gute erste Pässe. Sein Vorbild ist ein ähnlicher Verteidigertyp bei den Buffalo Sabres in der National Hockey League, der erst 24-jährige schwedische Nationalverteidiger Rasmus Dahlin: «Ich liebe es zuzuschauen, wie er Schlittschuh fährt», schwärmt Guus. 

Ist Nordamerika für den 17-Jährigen eine künftige Option? «Ja, schon, aber jetzt möchte ich vor allem für den HC Davos alles geben», sagt er im Wissen, noch einen weiten Schritt machen zu müssen, um über dem Teich für die Vereine interessant zu werden. Guus van der Kaaij arbeitet jeden Tag an sich. Nicht nur auf, sondern auch neben dem Eis, wie er betont. Alles gehöre zum kompletten Spieler, die Koordination der Aufgaben, die Erholung, die Ernährung, der Schlaf. «Da muss ich einfach noch mehr daran arbeiten», ist er selbstkritisch. 

Marc Gianola zeigt sich – natürlich – noch zurückhaltend, was die Perspektiven von Guus anbetrifft, streicht aber eine starke Eigenschaft des Youngsters hervor. «Er kann ein Spiel lenken.» Zu den Chancen von Guus auf Einsätze in der NL sagt der CEO: «Es hängt auch von der Verletztenliste ab, wir haben ein schmales Kader.» 

Autor:  Stephan Kiener