In den Alpen, also auch im Engadin, ist das Wetter sehr schwierig vorher­zusagen – wegen der Alpen. Gaudenz Flury, Meteorologe beim Schweizer Fernsehen, fasst anschaulich zusammen, was wir Bewohner dieser Gegend gefühlt tagtäglich erleben: Die Trefferquote der Wetterprognosen hat Luft nach oben. Egal, woher das Wetter komme, immer schiebe sich noch ein Hügel dazwischen, erklärt Flury die Schwierigkeit der exakten Vorhersage.

Als Gegenbeispiel zieht er den Säntis heran. Dieser ist die erste richtige Erhöhung nach dem Mittelland, entsprechend regnen sich dort die Wolken kräftig aus, was den Säntis und die Region rundherum zu einer der niederschlagsreichsten der ganzen Schweiz macht. Am anderen Ende dieser Skala finden sich das Engadin und das Wallis mit jährlichen Niederschlagsmengen von rund 700 Millimetern, was genauso viel Litern pro Quadratmeter im Jahr entspricht. Weil das Unterengadin und das Val Müstair grundsätzlich niederschlagsarm sind, werden hier auch die Wiesen bewässert. Etwas, was man beispielsweise im Prättigau noch nicht sehe, wie Flury festgestellt hat.

Unterschiede im Tal
Doch zurück zum Wetter im Unterengadin und Val Müstair. Weil die beiden Täler inneralpin sind und auch nicht homogen, ist selbst das Wetter im Tal nicht überall dasselbe. Das lässt sich gerade beim Heuen gut beobachten. Stehen wir auf der Wiese zwischen Lavin und Guarda und laden Heu auf, beobachten wir bange die schwarze Wolke, welche sich vom Flüela her in unsere Richtung bewegt. Im besten Fall dreht sie Richtung Susch und Zernez ab und wir atmen durch. Oder sie bleibt in unserer Richtung, regnet sich aber just über dem Stall aus, welcher am Dorfrand von Lavin steht. Wolkenbildungen über Guarda und Richtung Scuol hingegen lassen uns kalt, weil wir mittlerweile wissen, von dort kommt nie Regen. Dann eher auch noch aus dem Lavinuoz, dem Tal mit dem gleichnamigen Bach. Tatsächlich sei es oftmals «reine Lotterie», die Sommergewitter im Detail vorauszusagen, meint Flury. Dies nicht nur im Engadin, sondern überhaupt. Erhärten lässt sich nur, dass sie im Tessin, über dem Jura und den Voralpen öfter runtergehen. Was man aber kann, sei jeweils das Potenzial für Gewitter vorherzusagen, wann und wo genau sie sich dann entladen, das sei dann eben die Lotterie.

Sicher ist hingegen, dass verschie­dene Bedingungen erfüllt sein müssen, damit sich der Regen gleichmässig übers Engadin verteilt, wie Gian A. Gensler, Meteorologe, 1978 in einer seiner Arbeiten festgestellt hat: Demnach ist die Voraussetzung ein «sich nur langsam bewegendes Tiefdruckgebiet mit Zentrum über den Alpen selbst oder etwas südlicher hiervon, das heisst, über der Poebene/Golf von Genua – Dolomiten/Golf von Venedig. In der Höhe werden feuchte Südwinde über die Alpen getrieben, darunter, so ca. bis 3000 Meter über Meer besteht ein Nordstau, so dass kein Winkel des Kantons trocken bleibt.» Tatsächlich ist es ja gar nicht so schlecht, wenn zwischendurch kein Winkel des Kantons trocken bleibt, jedenfalls so lange das Gras noch wachsen soll.

Welche App hat Recht?
Möchten die Bauern dann aber das Gras schneiden, sprich heuen, ist trockenes Wetter Voraussetzung, am besten mehrere Tage hintereinander, da es sonst nicht trocknen kann. Womit wir bei den Modellen und Voraussagen wären. Welche soll man denn da zu Rate ziehen? Gaudenz Flury hat da zwei klare Favoriten: «Die beiden Schweizer Apps, also diejenige von uns, von SRF Meteo, und die von Meteo Schweiz.» Schliesslich würden wir diese ja auch mit unseren Gebühren und Steuern finanzieren, fügt er noch augenzwinkernd an. Wichtig dabei sei aber, dass man auch den Text mitlese und nicht nur die Bildchen anschaue, denn beim Text habe sich jemand intensiv Gedanken gemacht und sich vertieft mit den meteorologischen Modellen auseinandergesetzt. Zudem stünden hinter den Apps Wettermodelle, welche extra für die Schweiz optimiert und modelliert worden seien. Trotzdem, die Sache mit den Vorhersagen, wie macht man nun diese genau, Herr Flury? «Im Winter bei stabiler Hochdrucklage scheint im Unterengadin die Sonne. Punkt.» Alles andere ist aber eben schwieriger, zum Beispiel, wie zäh der Hochnebel über dem Flachland bleibt, ist teilweise unklar. Dabei kommt es nicht mal so drauf an, ob die Voraussage für die nächsten zwei Tage oder fünf Tage gelten soll. Ab und an tritt eine stabile Wetterlage erst wieder nach drei, vier Tagen auf, sagt Flury, was die längerfristige Prognose dann im Gegensatz zur kurzfristigen einfacher mache.

Knappe Prognosen
Und dann kommt es noch drauf an, wofür man das Wetter denn überhaupt «braucht». Wanderer und Wande­rinnen sind froh, wenn es nicht regnet oder wenigstens nicht den ganzen Tag. Strahlender Sonnenschein ist da quasi Bonus. Surfende wollen vor allem Wind, Badegäste viel Sonne, und Bauern und Bäuerinnen eben einige Tage ohne Regen, wenn möglich noch mit Sonne und Wärme. Auch da kann das Ablesen der Prognosen variieren. Eher schwierig, dies aus Zeitgründen, ist es, aufgrund der Wetterprognosen im Radio die Aktivitäten der kommenden Tage zu planen. 20 bis 30 Sekunden hätten sie da je nach Sender nur zur Verfügung, sagt Flury, da müsste dann auch mal etwas weggelassen werden.

Fast genauso schwierig, und dies ist nun die nicht so gute Nachricht zum Schluss, ist es, das grundsätzliche Sommerwetter 2024 vorauszusagen. «Ich kann nicht sagen, ob der Sommer noch stabil wird», lässt sich Flury da zitieren. Dies nicht nur wegen der Alpen, sondern generell, doch die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. 

Dieser Artikel ist erstmals im Unterengadiner Gästemagazin «Allegra» erschienen. Autor:  Jürg Wirth