Die Initianten der kantonalen Volksinitiative «Für eine naturverträgliche und ethische Jagd» versprechen in ihrem neun Begehren umfassenden Argumentarium, dass nur ein «Ja» die Bündner Jagd revolutionieren kann. Die Gegner, getragen von weiten Teilen der Jägerschaft, den kantonalen Jagd-, Fischerei-, Bauern- und Waldverbänden oder auch Bio Grischun, sehen bei einem «Ja» hingegen Jagd, Wild und Wald bedroht. 

Rückblick: Im Herbst 2013 begannen die Initianten mit der Unterschriftensammlung und reichten Ende August 2014 die Volksinitiative mit 3250 gültigen Unterschriften bei der Bündner Standeskanzlei ein. Im Oktober 2016 erklärte der Grosse Rat die Initiative für teilweise ungültig, gefolgt von einer Stimmrechtsbeschwerde der Initianten ans Bündner Verwaltungsgericht. Dieses stützte den Entscheid des Grossen Rates in weiten Teilen und veranlasste die Initianten, ihre Beschwerde ans Bundesgericht weiterzuziehen. Dieses hiess Anfang April 2020 die Beschwerde gut. Zurück im Grossen Rat wurde die Initiative in der letzten Februarsession behandelt und mit 103:0 Stimmen dem Stimmvolk zur Ablehnung empfohlen. 

Die Volksinitiative kommt als Gesamtpaket vors Volk und will, kurz zusammengefasst, Muttertiere und ihre Jungen generell schützen, Fallenjagd und Jagd auf geschützte Vögel verbieten, eine generelle Winterruhe und den Einsitz von Tierschützern und Nicht-Jägern im kantonalen Amt für Jagd und Fischerei erzwingen, Blutalkoholgrenzen, Jagdeignung und bleifreie Munition einführen, Kindern bis zu zwölf Jahren die Jagdbegleitung verbieten und die Regulierungsmöglichkeit der Wildhut einschränken. Verschiedene dieser Punkte wurden zwischenzeitlich umgesetzt oder befinden sich in Umsetzung. 

Dennoch polarisiert die Initiative und zeigt einmal mehr die unterschiedlich gelagerten Interessen aller betroffenen Gruppen auf: Jägerinnen und Jäger wollen an der Jagd festhalten und wünschen sich mehr Wild, Waldbesitzer wünschen sich weniger schadenstiftendes Wild in den Waldbeständen, vor allem in den Schutzwäldern, und Tierschützer würden eine natürliche Regulierung der Wildbestände dem menschlichen Eingriff vorziehen.

Weil die Initiative mit den neun Begehren äusserst komplex ist, stehen die Stimmberechtigten einmal mehr vor einer schwierigen Entscheidung. Eine Entscheidung, die sich vielerorts schon auf die emotionale Ebene verlagert und zwei Lager geschaffen: jenes, welches sich mit einem «Ja» für mehr Tierschutz und weniger Jagd einsetzt, und jenes, welches mit einem «Nein» der Jagd und dem Wald Sorge tragen will. 

Lesen Sie in der Samstagsausgabe der EP/PL vom 29. Mai die ausführlichen Interviews mit Tierschützer Roberto A. Babst vom Initiativkomitee und mit dem Mediziner Jürg Pfister, selber Jäger und Bezirkspräsident und Gegner der Initiative. 

Initiant und Kampagnenleiter Pro-Komitee, Roberto A. Babst. Foto: Jon Duschletta

«Wir kritisieren fehlende Auseinandersetzung und Alternativen»

Roberto A. Babst setzt sich als aktiver Tierschützer und Kampagnenleiter für ein «Ja» zur Jagdinitiative ein. Trotzdem will er an der regulären Hochjagd festhalten. Er fordert aber mehr Bewegung in der Ausgestaltung und spricht von einer eigentlichen Revolution der Jagd. 

 

Chirurg, Jäger und Präsident des Oberengadiner Jagdbezirks VII, Jürg Pfister. Foto: z.Vfg

«Ein Ja kommt de facto der Abschaffung der Jagd gleich»

Der gebürtige Samedner Jürg Pfister hingegen ist Chirurg, passionierter Gämsjäger und Präsident des Oberengadiner Jagdbezirks VII. Er lehnt die Initiative klar ab und fürchtet, dass bei einer Annahme die Jagd über die Hintertüre abgeschafft würde. Trotzdem attestiert er der Initiative auch positive und motivierende Aspekte.

Autor: Jon Duschletta, Fotos: Jon Duschletta/z.Vfg.