2003, Justingen, Deutschland: Ich war zwölf. Meine Freundin hatte einen Hamster. Sehr süss, sehr flauschig. Eines Tages verschwand das Nagetier spurlos. Ich war die letzte, die ihn lebend gesehen hatte und wurde ergo seines Verschwindens beschuldigt. 2020, Sils, Schweiz: Eine Freundin fragt mich, ob ich mich während ihrer Abwesenheit um den Familienhamster Lola kümmere. Jackpot! So kann ich nach dem Kindheitsdebakel endlich meine Ehre als fürsorgliche Nagetierfreundin wiederherstellen. Ein paar Tage später fällt mir siedend heiss ein: Ich habe Lola vergessen! Panisch google ich: «Wie lange überlebt ein Hamster ohne Wasser?» Das Ergebnis ist ernüchternd: maximal zwei Tage. Falls Lola also an meiner Nachlässigkeit starb, braucht es einen Plan B: Ein identischer Ersatz muss her. Ich frage erneut Google um Rat: «Hamster kaufen Engadin». Aber scheinbar versteht Google unter «Hamsterkauf» etwas anderes als ich. Klar, es ist ja Corona-Zeit. Ich mache mich also daran, die Lola-Lage vor Ort abzuchecken. Mit zitternden Knien gehe ich die Treppe hoch. Schliesse die Haustüre auf, trete ein. Spitze die Ohren: Surrt das Hamsterrad? Stille. Oh, oh. Ich trete an die Hamsterhöhle. Sieht verlassen aus. Im Napf ist aber noch ein wenig Wasser. Ich schütte getrocknete Mehlwürmer auf das Streu. Und – da ist Lola. Quicklebendig kriecht sie hervor. Puh, Glück gehabt, denke ich. Aber es ist wohl besser, wenn ich mir kein eigenes Haustier zulege. Off the record: In der Zwischenzeit wurde auch der mysteriöse Verbleib des deutschen Hamsters aufgeklärt. Die Mutter der Kindheitsfreundin beichtete mir, dass der Nager damals einer tragischen Verwechslung zum Opfer fiel: Der ausgebüxte Hamster hatte sich unter dem Badezimmerschrank versteckt. Sie hielt ihn jedoch für eine Maus, woraufhin das vermeintliche Ungeziefer mit einem Schuss aus dem Luftgewehr niedergestreckt wurde - was sie ihrer Tochter natürlich verschwieg.

Text und Foto: Denise Kley, volontariat@engadinerpost.ch