Der Oberengadiner Feriengast erwacht an diesem Herbstmorgen in seinem Hotelzimmer. Als Erstes prüft er auf seinem Smartphone den Wetterbericht, der am Morgen viel Sonnenschein und blauen Himmel vorhersagt sowie einige Regenschauer am Nachmittag. Gleichzeitig erhält er – der Gast ist sehr sportlich – einen Wandervorschlag hinauf auf den Muottas Muragl, wo er am besten einen Kaffee geniesst. Weiter geht es via Segantini-Hütte zur Alp Languard, wo ihm im Bergrestaurant, das noch viele Plätze auf der Terrasse bietet, hausgemachte Gerstensuppe und die sieben Zentimeter lange Crèmeschnitte empfohlen werden. Weiter erhält er den Tipp, anschliessend mit der Sesselbahn ins Tal zu fahren und den Nachmittag bei einer «Edelweiss-Trilogie»-Behandlung im Ovaverva ausklingen zu lassen. Und weil er ein bekennender Pizza-Liebhaber ist, erhält er später eine Push-Nachricht mit dem Vorschlag, sich am Abend in Conrad’s Mountain Lodge in Silvaplana eine Pizza am Meter zu gönnen. Auf dem Rückweg ins Unterland wird der Gast freundlich um sein Feedback zum Aufenthalt gebeten und gleich mit einem personalisierten Vorschlag für die Winterferien im Engadin bedient.

Bald Tatsache im Oberengadin
Genau so könnte das Szenario für den Oberengadiner Gast aussehen, denn die Engadin St. Moritz AG (ESTM AG) beabsichtigt, ihre Service-Dienstleistungen noch fokussierter zu digitalisieren und gemeinsam mit den touristischen Leistungsträgern und Partnern weitere Digital-Projekte entlang der touristischen Dienstleistungskette umzusetzen. «Es geht dabei aber nicht darum, das Produkt zu digitalisieren, denn der Gast will weiterhin die frische Bergluft einatmen, den Schnee berühren und den Spirit von St. Moritz erleben», betont Thomas Rechberger, Geschäftsleitungsmitglied der ESTM AG, der die Digitalstrategie der Tourismusorganisation mit den Partnern entwickeln und umsetzen wird. Vielmehr soll die Dienstleistung für den Gast von der Buchung und Anreise über die Aktivitäten vor Ort bis zum Folgeaufenthalt verbessert werden. Und die Digitalisierung bietet aus Sicht Rechbergers Möglichkeiten, diese Prozesse im Hintergrund entlang der gesamten Gästereise durchgängig zusammenzuführen.
«Dabei steht der Gast und sein Erlebnis immer im Mittelpunkt», betont er. «Und zur Perfektion bringen wir es, wenn der Gast die ganze Digitalisierung gar nicht spürt», so Rechberger. Dass nicht jeder Gast seine Daten hinter-lassen möchte, dessen ist sich Präsident Kurt Bobst bewusst. «Wenn jemand anonym bleiben oder nicht aktiv werden will, respektieren wir dies.» Doch wie funktioniert dieses digitale Tourismusmanagement? «Es existieren bereits viele Plattformen wie booking.com oder Tripadvisor», weiss Bobst. «Dorthin fliesst auch Marge, weshalb es das Ziel sein müsste, mit den Lösungen, die wir anbieten und entwickeln, die Margen für die Leistungsträger zurückzuholen, indem der Gast über eine lokale Plattform sein Hotel buchen, den Tisch im Restaurant reservieren oder das Museumsticket kaufen kann», erklärt Bobst das Vorhaben. «Somit wird sich der Gast im vielseitigen Aktivitäten- und Informationsangebot der Destination Engadin St. Moritz von einer zentralen digitalen Anwendung begleiten lassen», sagt er. «Damit schliesst sich auch der Kreis zur Standortentwicklungsstrategie der Region Maloja, wo sich die ESTM AG im Projekt ‹Smart Destination› einbringen will.»

Die vorhandenen Tools orchestrieren
Rechberger unterstreicht in diesem Zusammenhang, dass all die verschiede-nen Tools vorhanden sind. «Wir müssen die Welt nicht mit einer absoluten Super-App neu erfinden. Unsere Aufgabe ist es, diese Instrumente für den Gast in der Destination zu orchestrieren, damit eine schöne Melodie entsteht. Oder in anderen Worten: Wenn wir diese Tools gut nutzen, können wir die Bedürfnisse des Gastes besser verstehen und ihm dabei helfen, ihm während seines Aufenthaltes bei uns das zu bieten, was er sich wünscht.»
Um dies zu erreichen, hat die ESTM AG in den letzten Monaten eine umfassende Analyse durchgeführt – laut Rechberger der wichtigste Teil des Prozesses. Dafür wurden Gespräche mit den Leistungsträgern und Experten und Wissenschaftlern sowie erfolgreichen Start-ups im und ausserhalb des Tals geführt, um zu erfahren, welche Elemente zur Reise des Gastes gehören und wie diese von der Destination optimiert werden können. «Dabei müssen wir uns bewusst sein, dass die Leistungsträger ihre Gäste am besten kennen, allerdings meistens ‹nur› in ihrem spezifischen Bereich, und genau diese einzelnen Perspektiven des Hoteliers und Ferienwohnungsvermie-ter, der Bergbahnen und weiteren Anbietern im Tal gilt es zukünftig zu vernetzen», so Rechberger. Darüber hinaus soll die Jugend in diesen Prozess mit eingebunden werden, und Rechberger will auch innovative Digitalisierungsprojekte aus anderen Destinationen anschauen sowie über die Tourismusbranche hinaus prüfen und integrieren.

Gemeinsames Datenmanagement
Die ersten Erkenntnisse der Analyse-phase zeigen, dass die Leistungsträger insbesondere ein gemeinsames Datenmanagement als wichtig erachten, bei dem die Daten des Gastes vernetzt werden, um ihm dann ein abgerundetes und auf ihn zugeschnittenes Angebot offerieren zu können. Ausserdem waren sich die Befragten einig, dass die ESTM AG das Thema aufnehmen und führen soll. In einem weiteren Schritt geht es Bobst darum, einen Projektvorschlag auszuarbeiten und anschliessend das Commitment der Partner und der Politik dafür abzuholen. «Wir sehen uns dabei als regionale Tourismusorganisation ganz klar in der Leader-Rolle, wo es gilt, die Bedürfnisse der Gäste und Leistungsträger aufzunehmen und die Projekte umsetzen», hält er fest. «Dass sich der Gast in unserer Region wohlfühlt – mithilfe von digitalen Lösungen – und der Leistungsträger schlussendlich auch davon profitiert, weil der Gast zufrieden ist und daraus Wertschöpfung folgt – das streben wir mit diesem Projekt an», resümiert Bobst abschliessend das übergeordnete Ziel.

Autorin: Mirjam Spierer-Bruder