19.06.2017 Dominik Brülisauer 7 min
Bild: Dominik Brülisauer

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Wenn man im Sommer im Engadin unterwegs ist, begegnet man früher oder später einem Golfer. Das ist so sicher, wie man beim Schnorcheln im Roten Meer auf eine Plastiktüte trifft oder in Berlin auf einen Verwirrten, der einem die Welt erklären möchte. Ein Golfspieler ist jemand, der einen guten Grund braucht, um in seiner Freizeit sein Haus zu verlassen. Er könnte sich zu diesem Zweck zwar ganz einfach einen Hund kaufen, aber das wäre ihm aus rein organisatorischen Gründen zu aufwändig. Selbstverständlich könnte der Golfer auch rausgehen und etwas für seine Fitness tun. Spontan denke ich jetzt an Joggen oder Biken. Aber ein Golfer hat mit Sport ungefähr gleich viel am Hut respektive am Nike-Dächlikäppli respektive an der Karo-Mütze wie Erzbischof Haas mit gesundem Menschenverstand. Ja, ich weiss, wie die Schachspieler bezeichnen auch Golfer ihr Nichtstun zwar als Sport, aber das machen sie nur zum Spass. Ungefähr so wie Musiker, Schauspieler oder Instagram-Stars ihre Tätigkeiten lustigerweise als Arbeit bezeichnen. Für den Golfer ist es einfach wichtig, dass er an der frischen Luft ist und nicht schwitzt.  
Ziel des Golfspiels ist es, auf einem Golfplatz einen Golfball mit möglichst wenigen Schlägen mit dem Golfschläger vom Abschlag in ein Loch zu befördern. Dieses Loch ist je nach Schwierigkeitsstufe mehr oder weniger weit entfernt. Dazwischen lauern Hindernisse wie Tümpel, Sandlöcher oder Bäume. Darin besteht auch der grosse Unterschied zum Minigolfen. Beim Minigolfen sind die einzigen Hindernisse Kinder, Betrunkene oder Senioren, die einem ständig vor dem Ball herumstolpern und ihre schmelzenden Glacés auf die Bahnen tropfen lassen. Und wie es der Name Minigolf schon vermuten lässt, spielt auch die Spielfeldgrösse eine Rolle. Das Grössenverhältnis von Golfplatz zu Minigolfanlage ist das gleiche wie von einem Blauwal zu einem Kartoffelkäfer, vom Ego eines Franzosen zum Ego eines tibetanischen Mönches oder vom Vermögen von Mark Zuckerberg zu meinem Kontostand.
Ganz geübte Golfer treffen mit einem Schlag direkt aufs Green – das heisst in die unmittelbare Nähe des Loches. Die anderen 99% der Spieler verbringen die meiste Zeit mit dem Suchen ihres Golfballs, der nach dem ersten Schlag irgendwo im Wasser, im Treibsand oder in einem Vogelnest gelandet ist. Untypisch für unsere Zeit kann man sich bei dieser Suche nicht auf Google verlassen und der Golfer erlebt in diesen Momenten sogar so etwas wie eine Naturerfahrung. Abgesehen davon, dass selbst der beste Golfer alle hundert Jahre mal ein Hole-in-one schlägt, also den Ball mit einem Schlag direkt ins Ziel befördert, liefert das Finden des eigenen Golfballes nach stundenlangem Suchen das grösste Erfolgserlebnis, das man auf einem Golfplatz überhaupt erfahren kann.
Es gibt Golfer, die verzichten sogar auf das Spazieren und fahren in einem Elektrowagen von Abschlagstelle zu Abschlagstelle. Und die ganz faulen Exemplare, also die Koalas unter den Golfspielern, die nehmen sogar noch die Dienste eines Caddies in Anspruch. Dieser Rasen-Sherpa trägt dem phlegmatischen Golfer seine Tasche nach und reicht ihm jeweils den passenden Schläger. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ein ganz bequemer Golfspieler direkt in der Golfbeiz bei Cohiba und Cüpli sitzen bleibt und seinem Caddie auch noch gleich das Spielen überlässt.
Das Klischee sagt zwar, dass man erst mit dem Einlochen auf dem Rasen beginnt, wenn man im Schlafzimmer keine Lust mehr verspürt. Tiger Woods ist aber der lebende Gegenbeweis dafür. Der wohl berühmteste Golfspieler aller Zeiten feiert weltweit auf jeglicher Art von Rasen Erfolge. Angeblich hat ihm Pornokönig Rocco Siffredi bereits angedroht, dass er selber bald eine Golfkarriere in Angriff nimmt, falls dieser sich nicht aus seinem Stammgebiet zurückziehen würde.
Den Golfsport haben Ende des 18. Jahrhunderts die Englischen Touristen ins Engadin gebracht. Wahrscheinlich waren ihnen einheimische Freizeitbeschäftigungen wie Steinbock-Rodeo, Kuhfladen-Frisbee oder Innline-Marathon ein wenig zu anstrengend. Wer kann ihnen das verübeln. Zu dieser Zeit waren die Steinböcke bei uns etwa so dezimiert wie deine Privatsphäre in den Sozialen Medien. Es war also schwieriger ein Exemplar zu finden, als tatsächlich auf einem zu reiten. Auch Kuhfladen-Frisbee klingt lustiger, als was es tatsächlich war. Falls die Konsistenz der Wurfscheibe zu brüchig war, erlebte man auf der Spielwiese anstatt eines ausgelassenen Vergnügens nicht selten einen regelrechten Shitstorm. Und was den Innline-Marathon betrifft, der wurde selbst den Einheimischen irgendwann zu anstrengend. Schliesslich rannte man bei diesem Vergnügen gemeinsam von der Quelle des Inns bis nach Passau, wo dieser in die Donau fliesst. Das ist zwar herausfordernd und lustig, aber nachdem man es ein paar Mal gemacht hatte, hat es seinen Reiz ganz einfach verloren.
Engländer wollten auch Cricket im Engadin etablieren. Aber da der Sommer bei uns nur fünf Minuten dauert, ein Cricketspiel sich aber bis zu drei Monaten in die Länge ziehen kann, hat das nicht funktioniert. Dafür müssen sich heute die Inder, Australier oder Südafrikaner mit diesem britischen Erbe herumschlagen. Wenn man dort die Einheimischen nach ihrer Meinung befragt, dann empfinden sie die Unterdrückung und Ausbeutung durch ihre damaligen Kolonialherren bestimmt weniger tragisch als die Tatsache, dass sie sich heute noch mit einem Spiel auseinander setzen müssen, dessen Regeln komplizierter sind als der Bauplan einer Atombombe und das beim Zuschauen weniger Spass bereitet als ein Experimentalfilm eines zeitgenössischen Künstlers.
Heute ist der Engadine Golf Club mit 1200 Mitgliedern einer der grössten der Schweiz. Sogar der Islamische Zentralrat der Schweiz hat nicht viel mehr Mitglieder. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Engadine Golf Club politisch aktiv wird und schweizweit neue Vorschriften durchsetzen wird: das Tragen von Poloshirts wird im öffentlichen Raum obligatorisch und da jeder anständige Golfer ein Handicap besitzt, darf er auch bald jederzeit seinen Bentley auf Behindertenparkplätzen abstellen.
Der breite flache Talboden des Oberengadins bietet den perfekten Untergrund für Golfplätze und die nahen Felswände sorgen dafür, dass Bälle, die zu weit geschlagen werden, an diesen abprallen und wieder auf dem Rasen landen. Im Engadin Golf spielen ist also ein bisschen so wie Turnhallen-Fussball. Der Engadiner-Golfer vergnügt sich auf den herrlichen Plätzen in St. Moritz, in Samedan oder in Zuoz. Diese sind allesamt besser gepflegt als das Image von Lockheed Martin und der Rasen ist präziser rasiert als die Augenbrauen von Cara Delevigne.
Vor ungefähr 20 Jahren habe ich das Golfen ebenfalls für mich entdeckt. Allerdings spielten meine Freunde und ich eine leicht modifizierte Version – das sogenannte Klettergolfen. Das heisst, als wir am Piz Alv oder in anderen Klettergärten eine Felswand bezwungen hatten, schlugen wir von da aus Golfbälle in das nächstbeste Murmeltierloch. In einem akribisch durchdachten Verfahren, bei dem der Schwierigkeitsgrad der Kletterroute, die Performance beim Golfen und die Dezibelstärke des Murmeltierpfiffs beim Einschlagen des Balls miteinander vermischt und multipliziert wurden, konnten wir jeweils den Gewinner des Tages evaluieren. Wie du siehst, haben wir das Unmögliche vollbracht: wir haben Golf tatsächlich mit Sport verbunden. Ich wünsche gute Erholung auf dem Rasen.

Dominik Brülisauer

Dominik Brülisauer ist 1977 geboren und in Pontresina aufgewachsen. An der ZHDK in Zürich hat er Theorie für Kunst, Medien und Design studiert. Momentan arbeitet er als Werbetexter, Kolumnist und Schriftsteller in Zürich. Die Bücher «Schallwellenreiter», «Der wahre Liebeslebensratgeber» und «Leben kann jeder» sind im Handel erhältlich. Er besucht das Engadin heute noch regelmässig um im Pöstli Bier zu trinken, auf der Diavolezza zu Snowboarden und um seiner Mutter seine Wäsche abzugeben.
facebook.com/dominikbruelisauer