29.02.2016 Ruth Bossart 4 min
Foto: DIHA, Diyarbakir

Foto: DIHA, Diyarbakir

Kürzlich hatte ich eine schlaflose Nacht wegen einer Einladung. Denn: ich habe weder eine Köchin noch einen Gärtner und auch keinen Chauffeur, obwohl das hier in Istanbul gang und gäbe ist. Dass ich keinen Fahrer habe, damit lebe ich gut. Und auch den fehlenden Gärtner kann ich verkraften. In unserem Garten tollen eh die Kinder, und jegliche Manikür am Rasen wäre vergebliche Liebesmühe. Doch eine Köchin – das wünschte ich mir kürzlich sehnlichst. Nicht, dass ich nicht kochen könnte. Aber Tomaten und Karotten für Aperohäppchen schnitzen oder Langusten blanchieren – das ist nicht mein Ding. Auch meine  Kolleginnen hier in Istanbul können das eigentlich nicht. Viele können nicht einmal kochen, denn in ihren Küchen richtet es die Fachkraft. Da man hier gesellig ist, wird häufig eingeladen, und ich gehe natürlich gerne hin. Der einzige Haken: irgendwann muss ich mich revanchieren - mit einer Gegeneinladung. Denken Sie nicht, ich hätte ungern Gäste. Das Gegenteil ist wahr. Doch Kopfzerbrechen machte mir eine solche Einladung allemal, denn ich weiss, dass ich den Konkurrenzkampf mit all den professionellen Köchinnen und Hausangestellten nur verlieren kann, ganz zu schweigen von der logistischen Herausforderung – unser Ikea-Service hat lediglich neun Teller und beim Besteck sieht es noch schlechter aus. Gerade mal acht gleiche Messer und Gabeln. Dazu kommt die Ratlosigkeit, was ich denn auftischen könnte. Ein Albtraum. Drei Tage vor der Einladung hatte ich noch immer keine Idee, was ich den zwölf Geladenen vorsetzen sollte. Doch dann bestimmten die aktuellen Ereignisse das Besuchsregime. Im Südosten der Türkei spitzte sich die Situation zu und ich musste dorthin reisen, um zu berichten. Die Einladung verschob ich, zum Bedauern meiner türkischen Freunde. Ich war erleichtert.  In Diyarbakir, im Südosten der Türkei, lernte ich Tags darauf Güler kennen. Im Dezember hat sie  ihr gesamtes Hab und Gut verloren als neben ihrem Haus Panzer auffuhren. Güler und ihre Familie flüchteten, darunter ihr sieben Tage altes Baby. Ich habe Güler schliesslich auf der Strasse kennengelernt. Ich befragte sie, was sie vom Konflikt zwischen dem Staat und den kurdischen Guerillas halte. Güler lud uns danach zu sich ein,  in ein Zimmer, in dem sie mit fünf Kindern und ihrem Mann nun wohnt. Teppiche waren über den kalten Betonboden ausgebreitet, in einer Ecke stapelten sich die Matratzen, auf eine Kartonunterlage und Decken gebettet lag das Baby. Meine Übersetzerin, der Kameramann und ich zogen die Schuhe aus, setzten uns auf den Boden. Güler servierte uns Tee, jedes Gläschen eine andere Grösse oder Form, wir assen Biskuits von einer Papierserviette, denn Tellerchen hat Güler keine mehr. Ihre Habseligkeiten, die sie retten konnte, haben heute in einer Kommode Platz. Wir plauderten, sie erzählte, wir berichteten und hörten zu. Wir blieben, bis es schon fast dunkel war und wir uns beeilen mussten, um vor der Ausgangssperre unser Hotel zu erreichen. Trotz Krieg, Elend und Armut – an jenen Tag erinnere ich mich gerne. Die Einladung bei Güler war der Höhepunkt. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen, wie lächerlich meine Sorgen und Bedenken rund um die Einladung meiner Istanbuler Freunde waren. Güler, die Vertriebene, hat uns in ihr einfaches, fast leeres Zimmer eingeladen und uns  bewirtet, mit dem, was sie hatte. Es war ihr weder peinlich, dass wir auf dem Boden sitzen mussten noch hat sie sich geschämt, dass jedes Teegläslein ein anderes war. Sie ist eine stolze kurdische Frau, für die nur eines zählt: ehrliche Gastfreundschaft. Und genau so habe ich es nun auch gehalten mit meinen zwölf Geladenen in Istanbul. Güler vor meinem inneren Auge rüstete ich eine grosse Schüssel Salat, schob eine gigantische Portion Lasagne in den Ofen und zum Dessert servierte ich Orangensalat und selbstgemachte Bündner Nusstorte. Kein Schischi und keine Luxusspeisen. Kein Champagner und keine Edelweine. Die Einladung war trotzdem ein Erfolg. Wahrscheinlich war es dieser simple Rahmen, der meine verwöhnten Istanbuler Gäste beeindruckt hat.

Video-Beitrag SRF

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Junge PKK-Aktivisten tragen den Kampf in die Städte – Güler verliert ihr Daheim

Ruth Bossart

Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.