15.02.2017 Anne-Marie Flammersfeld 3 min
Brems-Grätsche am Niagarafall

Brems-Grätsche am Niagarafall

Als ich neulich durch die Wälder von St. Moritz gejoggt bin, wurde ich Zeuge eines Gesprächs zwischen zwei Frauen. Sie waren auf Langlaufski fröhlich beschwingt unterwegs und glitten an mir auf der Loipe vorbei. Plötzlich bremsten sie abrupt ab. Ihnen fiel etwas auf. Irritiert traten sie ein paar Schritte auf der Stelle und dann wurde es ihnen schlagartig bewusst: „Da geht es ja steil in die Tiefe“, kreischte die eine. Und die andere: „ Da fahr ich sicher nicht runter! Und überhaupt: da hört ja die Spur auf, da kann man ja gar nicht runterfahren!“ Ich schmunzelte in mich hinein und rief dann mit lauter Stimme: „Aufpassen, das sind die Niagarafälle von St. Moritz! Kennt ihr die nicht?!“ Ich weiss nicht, was aus diesen beiden Sportlerinnen geworden ist. Jedoch bin ich mir sicher, dass schon der ein oder die andere an genau dieser Stelle stand und tief Luft geholt hat, bevor es auf die Abfahrt mit den dünnen Bleistiften in die Tiefe ging: gemeint ist hier die Schanzenabfahrt oder der Schanzenaufstieg am Lej Marsch! Eigentlich sollte dort ein Bänkli aufgestellt werden, da man an dieser Stelle echte menschliche Dramen erleben kann. Dass auf diesem Abschnitt vor lauter Schweiss noch keine Eispiste entstanden ist, grenzt an ein Wunder. An diesem Ort können sich Sportler_innen  beweisen und die anderen im Schatten ihrer Lunge stehen lassen oder einfach kapitulieren. Ein Wunder ist es auch, wie sich bei der Abfahrt einige so dermassen die Beine verrenken können, dass jede Kunstturnerin oder jeder Yogi blass würde vor Neid. Im weiten Spagat oder auch Pizzastellung genannt, rauschen sie runter und beten währenddessen wahrscheinlich monotone Singsangs in Endlosschleife. Die Erleichterung später im Flachstück ist deutlich spürbar und die umherflitzenden Eichhörnchen staunen sicher nicht schlecht über die Wandlungsfähigkeit ein und derselben Person: eben noch zitterte diese mit den Beinen, als würde sie am elektrischen Weidezaun hängen und kaum hat sie wieder sicheres Flachland unter ihren Füssen, schwebt sie mit neu gewonnenem Selbstvertrauen gen Süden. Ein Lift in Form eines „Free Falls“ wäre an diesem Ort vielleicht noch hilfreich. Diesen könnte man von oben bis nach unten an die Brücke spannen und würde somit trotzdem noch ein paar Meter Nervenkitzel bekommen. Beim Aufstieg ist diese Variante dann etwas umständlich. Wie wäre es denn hier mit einem Förderband! Ein kleines Transportband, welches die Sportler_innen bequem nach oben bringt. Oh, wäre das schön. Aber ein bisschen Nervenkitzel ist auch schön; deswegen meine Empfehlung für die Niagarafälle: Augen zu, Luft anhalten und sich den Wind um die Ohren fegen lassen. Und natürlich üben, üben, üben. Mein Musiktipp: 

Anne-Marie Flammersfeld

Anne-Marie Flammersfeld ist Diplom-Sportwissenschaftlerin, Personal Trainerin und hat einen BSc. in Psychologie. Sie hält einige sportliche Rekorde. So konnte sie 2012 als erste Frau der Welt alle vier Rennen der «Racing the Planet 4 Deserts Serie» gewinnen und lief 1000 Kilometer durch die vier grössten Wüste der Welt. Sie ist in 8h32 auf den Kilimanjaro gelaufen und konnte den damaligen Weltrekord um gute drei Stunden verbessern. Am Nordpol war sie auch und ihr Streckenrekord steht immer noch bereit, um eingeholt zu werden. Die 1978 geborene deutsche Sportlerin arbeitet mit ihrem Unternehmen all mountain fitness in St. Moritz und dem Engadin. Als Personal Trainerin ist sie für alle da, die etwas Nachhilfe in Sachen Bewegung brauchen! Aber immer mit einem Augenzwinkern. Sie hält regelmässig Vorträge zu Themen aus den Bereichen Motivation, Begeisterung und Grenzen überwinden.
www.allmountainfitness.ch
annemarieflammersfeld.blogspot.com