03.03.2023 Bibi Vaplan 2 min
Foto: Flurin Bertischinger

Foto: Flurin Bertischinger

«So schade, dass man nichts versteht!», ist zu 90% die Rückmeldung auf meine Musik, welche ich ausschliesslich und leidenschaftlich auf Rätoromanisch singe. «So schade, dass man nichts versteht!», ist ein Satz, der mir zu 150% aus den Ohren hängt. Er hängt bis zum Boden hinunter, wo er sich zu einem giftgrünen Dunst in B-Moll auflöst. Mein Pech, dass wir in einer Gesellschaft leben, in der Liedtexte von immenser Wichtigkeit sind. Lange hatte ich die Hoffnung, dass es mir irgendwann gelingen würde ein Lied zu schreiben welches so ergreifend ist, dass niemand mehr nach dem Text fragen würde. Dabei habe ich gänzlich versagt. Nebenbei bemerkt: Eine beachtliche Mehrzahl der verfügbaren und geschrieben Songs sind Trillionen von Liebesliedern, die im Grunde gar nichts mit Liebe zu tun haben. Es wird vielmehr ein Leiden aus Leidenschaft angepriesen. Ein endloses Jammern darüber - etwas so gerne haben zu wollen und es nicht zu bekommen. Eine masochistische Arie über Projektionen und Abhängigkeiten. Ist das tatsächlich die Zutat, die das Publikum bei meinen Songs vermisst? 'Baby you drive me crazy?'«So schade, dass man nichts versteht!» Meiner Meinung nach ist Problem nicht die Unverständlichkeit der Songtexte. Es ist vielmehr der fremdartige Klang, der stört. Er verlangt vom Hörer, aus der Komfortzone zu kommen und das Herz ein wenig mehr nach rechts und 45 % bergauf zu drehen. Auf diese Weise könnte der noch nie gehörte Klang einer fremdartigen Sprache in das Herz gelangen. Den meisten ist diese Turnübung zu umständlich. Es würde bedeuten, sich in sich selbst fallen zu lassen, ein neuer Kosmos zu betreten oder Neil Armstrong auf dem Mond zu folgen. Viele bevorzugen die zu konsumierende Materie ohne Umwege in die Venen fliessen zu lassen. Hauptsache es gibt nichts, was den wohligen Sog vom Bekannten durchbricht.  

Bibi Vaplan

Bibi Vaplan (geboren 1979) ist im Engadin aufgewachsen. Das Klavierstudium an der Zürcher Hochschule der Künste schloss sie 2005 mit dem Lehrdiplom ab. Schon während des Studiums komponierte sie für Filme und Theater (u.a. für Vitus). Stilistische Grenzen waren schon immer ein willkommener Grund, über den Zaun zu schauen. Bibi Vaplans Konzerte und ihre mediale Präsenz, zum Beispiel im «Kulturplatz», bei «Glanz und Gloria» oder auf dem Traktor unterwegs für «Jeder Rappen zählt!» machten die Engadiner Künstlerin schweizweit bekannt. Ihr neuestes Projekt, die «Popcorn-Opera» startete am 6. November 2020.