14.02.2022 Franco Furger 4 min
Symbolbild. Foto: Pexels/Nugroho Wahyu

Symbolbild. Foto: Pexels/Nugroho Wahyu

Neulich waren meine Frau und ich in einem Möbelhaus und kauften einen Schrank. Keine Angst, ich erzähle Ihnen nicht, wie wir das gute Stück zusammengebaut haben. Das klappte nämlich erstaunlich gut, ohne nennenswerte Komplikationen und ganz ohne Streit. Lieber möchte ich über den Sinn und Zweck eines Schranks sinnieren. Natürlich, ein Schrank hat den Zweck, Sachen wie zum Beispiel Kleider darin zu verstauen. Er schafft Ordnung. Andererseits ist ein Schrank nicht unbedingt ein schönes Möbelstück, er beansprucht viel Platz und kann ein Zimmer einengen. Wir haben nämlich keine allzu grosse Wohnung. Darum hat sich meine Frau lange gegen einen Schrank gewehrt, den ich anschaffen wollte, nachdem ich in ihre Wohnung eingezogen war. Neben ästhetischen spielten auch seelische Gründe eine Rolle für ihre Anti-Schrank-Haltung. Sie war der Ansicht, so ein Kasten, insbesondere im Schlafzimmer, habe etwas Biederes. Zudem strahle ein gemeinsamer Kleiderschrank etwas Endgültiges aus: Hier bin ich nun also. Von hier geh ich nicht so schnell wieder weg. Der Schrank als ein Stück Freiheitsverlust quasi. Ich konnte ihr durchaus beipflichten, denn jedes Möbelstück mehr, macht das Umziehen umständlicher. Ich erinnerte mich an mein fast schon nomadisches Leben als junger Mann, als ich in sieben Jahren zwölfmal umgezogen war. Mein ganzes Hab und Gut hatte damals in einem Kombi Platz. Zügeln war ein Kinderspiel. Nicht einmal Helfer, die mitanpackten, hatte ich dazu gebraucht. Ich konnte alles selber das Treppenhaus runtertragen, das Bett, das nur aus einem leichten Lattenrost und einer schmalen Matratze bestand, eine Tischplatte und zwei Tischböcke, ein kleines Regal. Schrank hatte ich keinen. Somit war ich mit meiner Frau sofort einverstanden, als Sie meinte, wir müssten uns von Dingen trennen. Wir wohnen an einer belebten Strasse, was praktisch ist, um sich ans Trennen von Dingen heranzutasten. Wenn man Kleinkram wie Tassen, Bücher, Vasen und sonstigen Krempel aufs Trottoir stellt und ein Schild mit der Aufschrift „Zum Mitnehmen“ dazulegt, wird das meiste tatsächlich mitgenommen, früher oder später. Wir machten uns ein Spiel daraus, welches Stück früher verschwindet, und spähten beim Mittagessen vom Balkon herunter, um zu überprüfen, ob das Pannendreieck immer noch daliegt und wer es wohl mitnehmen könnte. Sich auf diese Weise von Ramsch zu trennen, war einfach, doch die Platzersparnis fiel ziemlich dürftig aus. Der nächste Schritt war also, sich von voluminösen Dingen zu trennen. Wir brachten dicke Winterjacken und alte Elektrogeräte ins Brockenhaus. Beim Trennen von monetär wertvollen Dingen wurde es dann herausfordernd. Wir versuchten neuwertige Kleider und kaum gebrauchtes Sportequipment über digitale Plattformen zu verkaufen. Doch der Markt ist übersättigt, sodass unser Absatz bescheiden blieb. Etwas erfolgreicher gestaltete sich unser Auftritt am Quartierflohmarkt, wo wir unter anderem einen Teppich an den Mann bringen konnten – oder in diesem Fall an eine Frau. Weniger erfolgreich hingegen war die Standmiete im Secondhandshop, wo wir bloss eine Bluse verkauft haben. Schliesslich merkten wir, dass wir uns nicht von allem trennen wollen, da gewisse Dinge für unser Selbstbild wichtig sind und einen Teil unserer Persönlichkeit ausmachen, selbst wenn wir die Dinge nur wenig oder nicht mehr benutzen. Meine Frau besitzt als gelernte Schneiderin mehrere Nähmaschinen und viele Stoffe. Und ich habe als leidenschaftlicher Berg- und Brettsportler allerlei Skis, Snowboards und sonstiges Sportequipment herumstehen. Und so kam es, dass meine Frau eines Tages und zu meiner Überraschung sagte: Hey, wieso kaufen wir nicht einfach einen Schrank? Nun steht er an der Zimmerwand und sieht weniger schlimm aus als befürchtet. Im Gegenteil, der Anblick erfreut uns, da er eine Art Monument für unsere Eheschliessung darstellt. Zweieinhalb Jahre nach dem Ja vor Gott und vor dem Staat, haben wir auch das Ja zu einem gemeinsamen Schrank gegeben. Wenn das keine Liebe ist. 

Franco Furger

Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.