26.01.2022 Bibi Vaplan 2 min

Es gibt nichts Schöneres, als auf einem Einkaufswagen durch den Supermarkt zu fliegen. Vielleicht ein Flug zum Mond? Ja, dort wäre ich nämlich den Sternen etwas näher. Ich könnte ihr Funkeln aufsaugen und strahlend wieder auf die Erde zurückfliegen. Auch wenn ein solcher Mondflug auf meiner To Do-Liste ganz oben steht, muss dieses wundervolle Unterfangen noch etwas auf meine astronautischen Kräfte warten. So lange fliege ich stattdessen durch den Supermarkt und verinnerliche das Funkeln von Spagetti, Pommes Chips und Jogurts. Heute habe ich mich mit meinem Gefährt sogar in der Fleischabteilung verirrt und wäre fast mit dem Kühlregal vom Fisch zusammengeprallt. Meine Bremstalente beim Fliegen auf dem Einkaufswagen sind bescheiden. Auch das Lenken ist oft komplex. Sogar einiges an Beinkraft verlangt diese heikle Disziplin. Der Rest ist einfach: 1. Den Griff vom Einkaufswagen mit den Händen fest umschliessen. 2. Schwung nehmen und rennen. 3. Bei genügend Tempo das Körpergewicht auf den Einkaufswagen verlagern und hoffen, dass es nicht rückwärts kippt. 4. Die Füsse nach rechts und links in die Höhe heben. Mit Gegenverkehr oder Überholmanöver anderer Einkaufswägen ist zu 99.9 Prozent nicht zu rechnen. Normalerweise fliegt sonst niemand durch das Waren-Universum. Schade eigentlich! Gerne würde ich einmal mit meinem Nachbarn zusammenstossen. Während meinem freien Fall würde ich in Zeitlupe erleben, wie ein Regen aus Einkaufswaren durch die Luft fliegen würde. Ich würde beten, dass der Sixpack Bier meines Nachbarn nicht auf meiner Birne landet. Würde sich diese Disziplin höherer Beliebtheit erfreuen und wäre ich nicht die einzige fliegende Pilotin auf dem Einkaufswagen im Supermarkt, würde sicherlich schnell ein Verbotsschild beim Eingang stehen: «In diesem Supermarkt ist das Fliegen auf Einkaufswägen verboten.» 

Bibi Vaplan

Bibi Vaplan (geboren 1979) ist im Engadin aufgewachsen. Das Klavierstudium an der Zürcher Hochschule der Künste schloss sie 2005 mit dem Lehrdiplom ab. Schon während des Studiums komponierte sie für Filme und Theater (u.a. für Vitus). Stilistische Grenzen waren schon immer ein willkommener Grund, über den Zaun zu schauen. Bibi Vaplans Konzerte und ihre mediale Präsenz, zum Beispiel im «Kulturplatz», bei «Glanz und Gloria» oder auf dem Traktor unterwegs für «Jeder Rappen zählt!» machten die Engadiner Künstlerin schweizweit bekannt. Ihr neuestes Projekt, die «Popcorn-Opera» startete am 6. November 2020.