17.11.2021 Ruth Bossart 3 min
Hauptsache aufgerollt: Die Schweiz mag es so! (Foto: Ruth Bossart)

Hauptsache aufgerollt: Die Schweiz mag es so! (Foto: Ruth Bossart)

Die Schweizerinnen und Schweizer sind Weltklasse – und sie wissen eigentlich fast alles - und meistens auch besser. Kürzlich machte ich Ferien in Italien. Und mit mir viele andere Schweizerinnen und Schweizer, denn in manchen Kantonen waren noch Schulferien. Die Trattorien und Pizzerien im verschlafenen Örtchen in Ligurien waren fest in helvetischer Hand. Ausgiebig wurde Farinata bestellt, Polpetone di melanzana und natürlich Spaghetti Vongole, eine weitere ligurische Spezialität. Die italienischen Kellner freuten sich ob der Helvetier, die vielfach in leidlich gutem Italienisch – ganz anders als die Deutschen, von denen auch einige zum Urlauben angereist waren – ihre Speisen bestellten, nachdem sie zuvor die englischen oder deutschen Übersetzungen der Speisekarte entschieden zurückgewiesen hatten. Ist ja klar, die Schweiz ist schliesslich viersprachig. Darum weiss man und frau, was Sache ist. So wie die Schweizer Seniorin, die verächtlich ihre Nase rümpfte, als ein deutsches Paar nach der Pizza einen Cappuccino bestellte. Geht gar nicht, signalisierte ihre Mimik und als der Keller charmant aber unmissverständlich signalisierte, dass man doch lieber auf einen Espresso setzen sollte, nickte die Dame überschwänglich und schickte einen «Wie-kann-man-nur»-Blick an den anderen Tisch. Dass sie sich nicht auch noch ins Gespräch eingeschaltet hat, erstaunte fast ein bisschen. Besonders bizarr die Situation zwei Tische weiter. Dort stritt ein Paar – auch sie Herr und Frau Schweizer – ob man die Spaghetti in Italien mit oder ohne Löffel essen müsse. Er war dagegen und biss trotzig mit den Schneidezähnen die Teigwaren ab, die wie Hängegras aus seinem Mund pendelten. Er war wohl so hungrig, dass ihm seine Tischmanieren egal waren. Ihr umgekehrt war das sichtlich unangenehm und darum bestellte sie für ihren Gatten einen «Cucchiaio». Der Streit war lanciert, die Frau insistierte, der Mann dementierte und das Gezänke war noch lange nicht zu Ende, als das Paar schliesslich zahlte und das Lokal verliess. In solchen Momenten schäme ich mich für meine Landsleute. Mir kommt es vor, als ob es ein Schweizer Charakteristikum wäre, sich nicht nur um die Angelegenheiten anderer zu kümmern sondern auch als chronische Besserwisser in Erscheinung zu treten. Und so kommt mir unweigerlich der legendäre Film «Die Schweizermacher» in den Sinn, in dem der geniale Regisseur Rolf Lyssy vor mehr als 30 Jahren seine Protagonisten genau mit solche Verhaltensmerkmalen ausstattete: Kommissar Bodmer zum Beispiel, der sich kaum vorstellen kann, dass es andere Tugenden gibt als Pünktlichkeit, korrekt befüllte Güselsäcke und sauber geschlossene Vorhänge. 

Während ich mich beim Filmschauen amüsiere, schäme ich mich in Grund und Boden, wenn ich Zeugin solch helvetischer Rechthaberei werde.

Übrigens: Italienerinnen und Italiener essen ihre Spaghetti ohne Löffel. Immer.


Ruth Bossart

Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.