27.07.2021 Ruth Bossart 3 min
Muss nicht immer Wurst sein, um die Schweiz zu feiern (Foto: Ruth Bossart)

Muss nicht immer Wurst sein, um die Schweiz zu feiern (Foto: Ruth Bossart)

Bald werden wieder Höhenfeuer entzündet, rote Lampions, Raketen rasen gegen den Himmel, Bratwürste werden grilliert und Reden gehalten. Die Schweizerinnen und Schweizer feiern ihre Schweiz am 1. August. Dieses Jahr ist es das 730. Wiegenfest. Gegründet worden sei die Eidgenossenschaft 1291 von drei Männern; Walter Fürst aus Uri, Werner Stauffacher aus Schwyz und Arnold von Melchtal aus Unterwalden. Ewige Treue geschworen wurde auf dem Rütli, so die Überlieferung.

Doch dieser offizielle Geburtstag ist mitnichten ein Werk der drei Innerschweizer, das wissen die Historiker seit einiger Zeit. Es ist ein Verwaltungsakt der sieben Bundesräte.  1891 haben die Landesväter beschlossen, das offizielle Gründungsdatum der Schweiz auf den 1.8.1291 zu datieren. Im ausgehenden 19. Jahrhundert brauchte der junge Staat nämlich eine Geschichte der gemeinsamen Herkunft. Damit sollte der Zusammenhalt gestärkt und die Wunden geheilt werden, die aus der Zeit der schwierigen Bundesstaatsgründung vor 1848 stammten, als Schweizer gegen Schweizer im Sonderbundskrieg kämpften. Zudem plante die Stadt Bern anfangs August 1891 auch eine Feier, um der Stadtgründung vor 700 Jahren zu gedenken. Dies schien dem Bundesrat ideal: So quasi als Trittbrettfahrer könnte man die Bundeshauptstadt feiern und die Schweiz dazu. Die bundesrätliche Botschaft wurde darum im Spätherbst 1889 zügig verfasst und mit ihr die erste Gründungsfeier auf den 1. und 2. August 1891 terminiert. 

Bisher glaubte man, die Gründung der Schweiz sei ein paar Jahre später erfolgt. Das traditionelle Datum des Rütlischwurs wurde vielerorts auf 1307 gelegt. Noch 1907 feierten die Urner, auf deren Telldenkmal in Altdorf noch heute das «alternative» Datum des Rütlischwurs steht, 600 Jahre Eidgenossenschaft. Der Bundesbrief von 1291 ist eigentlich ein Landfriedensbündnis und mitnichten eine Gründungsurkunde. Weder werden darin das Rütli erwähnt, noch die drei Innerschweizer Gründungsväter. 

Die drei sind Mythen wie auch unser Nationalheld Wilhelm Tell. Doch dies schmälert ihre Bedeutung keinesfalls. Noch heute thronen sie im Bundeshaus in Bern, das um 1902 eingeweiht wurde. Die drei Innerschweizer schwören in der Eingangshalle, Wilhelm Tell thront im Nationalratssaal. Sie sind somit weniger Zeugen der Staatsgründung im 13. Jahrhundert. Sie zeigen vielmehr, wie die offizielle Schweiz anfangs des 20. Jahrhundert eine gemeinsame Schweizer Geschichte schaffte, von der wir noch heute zehren.

Das Schriftstück, das heute als Gründungsurkunde der Schweiz gilt, wurde im 18. Jahrhundert bei einer Inventur des Archives in Schwyz mehr zufällig entdeckt und nicht für speziell wertvoll erachtet. Bis 1891 war darum dieses Dokument nur für Fachleute von einer gewissen Bedeutung. Doch seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ist das anders: Mit der ersten, zweitägigen 1. Augustfeier 1891 erhielt die Schweiz einen offiziellen Geburtstag, seit 1899 wird diesem regelmässig gedacht. Vor allem Auslandschweizer – inspiriert von Feierlichkeiten in Frankreich und den USA – wünschten sich einen solchen Tag, ähnlich einem 4. oder 14. Juli. Die offizielle Schweiz feierte anfänglich in sehr bescheidenem Rahmen. Die Gemeinden wurden angehalten, am Abend des 1. August die Kirchenglocken zu läuten. Später kamen die Höhenfeuer dazu. Der 1. August blieb bis 1993 ein Werktag. Erst eine Volksinitiative, die mit rekordhohen 84 Prozent angenommen wurde, wandelte ihn zum Frei- und Nationalfeiertag um. Auch wenn diese Geschichte des Schweizer Nationalfeiertags dem einen oder der anderen nicht gefällt, ich bin sicher, Wilhelm Tell, Walter Fürst, Werner Stauffacher oder Arnold von Melchtal hätten ihre helle Freude daran, dass die Schweizerinnen und Schweizer dem Geburtstag ihrer Nation mit Cervelats, Höhenfeuern und «Buurezmorgen» gedenken, statt mit martialischen Militärparaden und Millionen teuren Feuerwerken und exklusiven Partys.

Ruth Bossart

Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.