25.05.2021 Redaktion Engadiner Post 3 min

Ursprünglich stand «Loblied auf die Heimarbeit» als Arbeitstitel über diesem Text. Bis meine Recherchen im Büro für Allgemeinwissen – Wikipedia – mehr und mehr in die Tiefe gingen und ganz neue Aspekte und Zusammenhänge offenbarten. Frei nach dem Motto, nur wer nachfragt wird Antwort erhalten, ergo, auch gescheiter werden. Demnach ist Heimarbeit, auch Verlagssystem, Heimindustrie oder Hausgewerbe genannt, seit rund 620 Jahren als eine Art dezentraler Arbeitsorganisation bekannt. In der Schweiz und in verschiedenen anderen europäischen Ländern wurde Heimarbeit beispielsweise in der Produktion von Tuch angewandt, indem der Auftraggeber Rohstoffe zur Verfügung stellte und Handwerker oder ganze Familien diese zu Hause zu fertigen Produkten weiterverarbeiteten. Profitieren wir heute bei der modernen Umsetzung von Heimarbeit in aller Regel von einem festen Arbeitsverhältnis, so war dies damals noch alles andere als selbstverständlich, wenn nicht sogar die grosse Ausnahme. Auftragsverhältnis würde das, in unsere Zeit übersetzt, dann heute wohl heissen, oder Leistungsvertrag. Im Zuge meiner weiteren Recherchen stiess ich auf ein paar weitere und ganz erstaunliche Zahlen, die ich hier gerne und ungefiltert weiterverbreite: So sollen 1850, im Zuge der Frühindustrialisierung, rund zehn Prozent der Beschäftigten in Heimarbeit tätig gewesen sein. Dieser Anteil fiel in den nächsten 50 Jahren und bis zur Jahrhundertwende auf unter drei Prozent. In diese Zeit passt auch die Veröffentlichung von Karl Marx erstem Band von «Das Kapital». Zugegeben, ich habe dieses weder in meinem Büchergestell stehen, noch habe ich es gelesen. Marx soll darin aber der Frage nachgegangen sein, Zitat: «welchen Gesetzmässigkeiten das Produzieren von nützlichen Dingen in einer Gesellschaft folgt, deren Reichtum in Waren, also dem tauschbaren Wert dieser nützlichen Dinge besteht». Zugegebenermassen keine schlechte Frage. 1890 bezeichnete der deutsche Philosoph und Gesellschaftstheoretiker den Heimarbeitsbetrieb als «das auswärtige Departement der Fabrik, der Manufaktur oder des Warenmagazins». Schöner Gedanke. Das wiederum bringt mich gerade dazu, mir auszumalen, wie schick sich dieser Zusatz auf meiner Visitenkarte machen würde: «Jon Duschletta, Leiter des auswärtigen Departements der Schreibmanufaktur ‹Engadiner Post/Posta Ladina›...» Spass beiseite. Ganz offensichtlich scheint die globale Gesellschaft überzeugt, der unsägliche Begriff «Home-Office» sei exklusiv, sei einzig und alleine zur Bewältigung der gerade grassierenden Pandemie erfunden worden. Dem ist aber nicht so. Sie liegt mal wieder kreuzfalsch, die gute Gesellschaft. Fügt man nämlich den Umschreibungen für Heimarbeit auch noch das etwas modernere «Telearbeit» hinzu, so lassen sich gleich noch weitere Beispiele anfügen. Beispiele die zeigen, dass alles in der einen oder anderen Form schon früher vorhanden war. Beispielsweise das erstmals 1976 in den Staaten verwendete «telecommuting». Es benannte schon damals, was wir heute als Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsplatz bezeichnen – und ich als regelrechter Zeitverschleiss. Früh soll übrigens die damalige Schweizerische Kreditanstalt mit Telearbeitsprojekten experimentiert haben und schon 1989 rund 65 Mitarbeitende in sogenannten «Workcenters» oder «Telearbeitszentren» in verschiedenen Schweizer Städten beschäftigt haben. Erfolgreich, wie Wikipedia weiss.        Nun, eigentlich wollte ich bloss sagen, wie froh ich im Gegensatz zu anderen Kolleginnen und Kollegen meiner Zunft bin, von zu Hause aus arbeiten zu können. Heimarbeit ist schlicht mein Ding und mir graust es schon heute vor der Rückkehr in den normalen Büroalltag, vor der Rückkehr ins Grossraumbüro. Denn auch dort verliert man sich schliesslich ab und an in den Tiefen des Internets. Text: Jon Duschletta

Redaktion Engadiner Post

Wie geht es auf einer Redaktion zu und her? Inbesondere an einem Produktionstag? Was macht ein Redaktor/eine Redaktorin den lieben langen Tag? Und was braucht es, von der Idee bis zum vollständigen Bericht in der Zeitung? Über diese und weitere Themen lesen Sie regelmässig im Redaktionsblog der «Engadiner Post/Posta Ladina».