03.08.2020 Franco Furger 4 min
Foto: Unsplash/Dan Burton

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Neulich schaute ich wieder mal Livesport. Endlich. Nach der Corona-bedingten Zwangspause findet Profisport wieder statt. Mehr oder weniger. So hat die Schweiz doch noch einen Fussballmeister gefunden und auch die Formel-1-Boliden fahren wieder im Kreis. Fraglich bleibt jedoch, ob Sport je wieder vor einem feuchtfröhlich grölenden Massenpublikum vorgeführt werden kann und soll. Mir kann’s egal sein. Ich schau Sport am liebsten zu Hause auf der Couch, alleine und virusgeschützt. Und Fussball und Autorennen finde ich sowieso doof. Viel lieber schaue ich mir Snooker an. Zurzeit läuft die WM in Sheffield. Sie ist das erste globale Sporthighlight nach dem Lockdown und dauert noch bis zum 16. August. Bereits die ersten Matches waren packend und vielversprechend, mit überragendem Break-Building, brillantem Safety-Spiel und einem dramatischen Decider. Ach, Sie wissen nicht was Snooker ist? Snooker ist eine technisch und taktisch hochanspruchsvolle Billard-Variante. Populär ist die Königsdisziplin des Billards vor allem auf den Britischen Inseln, wo Snooker zusammen mit Fussball und Rugby als Nationalsport gilt. Die Stars heissen Ronnie O'Sullivan (England), John Higgins (Schottland) oder Mark Williams (Wales). Aber auch in Asien ist der Sport verbreitet. An der WM stehen drei Chinesen und zwei Thailänder im Hauptfeld. Ich mag besonders die Spielweise von Ding Junhui. Snooker ist ein echter Gentlemen’s Sport. Alle Spieler verhalten sich äusserst respektvoll und korrekt und wahren stets die Contenance. Einzig der Publikumsliebling Ronnie O'Sullivan sorgt hin und wieder für einen kleinen Eklat. Und natürlich sind die Spieler gentlemanlike gekleidet: Hemd, Weste und Fliege sowie elegante Schuhe sind vorgeschrieben. In diesem Tenue spielen sie stundenlang. Snooker ist ein Konzentrations- und gleichzeitig ein Ausdauersport, besonders während der WM, wo über viele Sätze (=Frames) gespielt wird. In der ersten Runde ist der Modus Best-of-19, im Finale sogar Best-of-35. Und so ein Frame kann auch mal eine Stunde oder länger dauern, im Schnitt benötigen Profis rund 18 Minuten, bis alle Kugeln versenkt sind. Ich schaue mir also an, wie Ronnie O'Sullivan eine Kugel nach der anderen versenkt, kaum ein Stoss misslingt ihm. Ich bin fasziniert, wie treffsicher und leichthändig er die Kugeln über den 3,6 Meter langen Tisch rollen lässt. Ich kann gerne zwei Stunden lang zusehen, wie Kugeln in Taschen verschwinden; wenn ich mehr Zeit hätte auch länger. Warum, mögen Sie sich fragen. Weil ich Snooker schauen als enorm entspannend empfinde. Tock und Plop. Tock und Plop. Der Klang beim Zusammenprall und anschliessenden Fallen der Kugel wirkt herrlich beruhigend. Und trotzdem bietet Snooker viel Drama, denn nur ein einziger Fehlstoss kann über Sieg oder Niederlage entscheiden, dies nachdem die Spieler bereits acht Stunden lang am Tisch gestanden sind. Sie finden das einfach nur langweilig? Warten Sie’s ab: Beim Snooker werden nicht einfach bloss Kugeln eingelocht, zwischendurch gibt es auch taktische Abnützungskämpfe. Beim sogenannten Safety-Spiel geht es darum, dem Gegner ein möglichst versperrtes Spielbild zu hinterlassen, sodass dieser keine Kugel lochen kann. Daher stammt auch der Name ”Snooker“, was auf Englisch “sperren” oder ”behindern“ bedeutet. Während einer Safety-Schlacht kann auch mal 30 Minuten lang keine Kugel fallen; und gleichwohl bin ich fasziniert, wie präzis Mark Williams den Spielball an den unmöglichsten Orten platziert. Zugegeben, nicht selten fallen mir beim Snookergucken die Augen zu, ins Bett gehe ich deswegen aber nicht, denn ich will ja nichts verpassen. Entscheidend ist: Ich muss die Spiele live sehen, ansonsten kann auch ich mir dieses Kugelverschieben nicht antun. Das ist ja das Eigenartige am Sportschauen. Wenn der Sport nicht live läuft, ist er langweilig – und zwar nicht nur Snooker, sondern alle Sportarten. Im Nachhinein sind bloss Zusammenfassungen spannend mit den Toren, den Zieleinläufen und den spektakulärsten Szenen. Nur Livesport erzeugt das gesuchte Kribbeln und Mitfiebern, die Euphorie und Enttäuschung. Und ich bin nicht der Einzige, dem es so ergeht. Weil Livesport so viele Emotionen beim Publikum auslöst, geben TV-Stationen Unsummen für Übertragungsrechte aus. Und darum verdienen gewisse Sportler so viel Geld. Auch die Preisgelder an der Snooker-WM sind nicht zu verachten, der Gewinner kassiert 500'000 Britische Pfund. Wenig anderes vermag mehr zu unterhalten als Livesport. Oder können Sie sich erklären, warum sich Leute eine ganze Tour-de-France-Etappe anschauen und fünf Stunden lang beobachten, wie Männer mit rasierten Beinen velofahren? Da schwör ich lieber auf Snooker, das ist definitiv stilvoller. Besonders gespannt bin ich auf den Auftritt von Alexander Ursenbacher. Der 24-jährige Aargauer hat sich als erster Schweizer und deutschsprachige Spieler für das Hauptfeld der WM qualifiziert. Eine beeindruckende Leistung in einem Land, wo es nur gerade 50 lizenzierte Spieler gibt. 

Franco Furger

Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.