08.06.2020 Franco Furger 3 min

Neulich hatten meine Frau und ich eine wichtige Entscheidung zu treffen: Wir haben zwei tolle Wohnungen, eine in Luzern und eine im Engadin. Doch nun wollen wir zusammenziehen und eine davon aufgeben. Wie treffen Sie grosse Entscheidungen? Sind sie der rationale Typ, der Plus-Minus-Listen anlegt und Vor- und Nachteile akribisch abwägt? Oder eher der intuitive Typ, der sich von seinen Gefühlen leiten lässt und aus dem Bauch heraus entscheidet? Meist benötigt eine gute Entscheidung beides: Vernunft und Intuition. Wenn zum Beispiel aus der Plus-Minus-Liste kein klarer Favorit hervorgeht, dann hat das Bauchgefühl das letzte Wort. Und in der Regel ist es sinnvoll, das anfängliche Bauchgefühl mit rationalen Argumenten zu prüfen, um sich wirklich sicher zu sein. Manchmal braucht es auch den Mut, trotz aller Logik auf den Bauch zu hören und scheinbar unvernünftig zu entscheiden, einfach weil es sich besser anfühlt. Dass sich Vernunft und Intuition bei der Entscheidungsfindung gegenseitig auf die Sprünge helfen, weiss auch die Werbung zu nutzen. Ein anschauliches Beispiel dafür liefert das Duschgel meiner Bloggerkollegin. GLÜCKLICH SEIN steht da gross auf der Flaschenetikette. Warum? Weil Worte wie «Glück», «Freude» oder nicht zuletzt «Sex» Emotionen wecken und den Blick intuitiv auf das Produkt lenken. Beim genaueren Betrachten liest man auf dem Duschgel auch Phrasen wie «mit der Kraft ätherischer Öle» und «100% recycelbar». Dies sind zwei rationale Argumente, um einen positiven Kaufentscheid zu untermauern und allfällige Zweifel am übertriebenen Glücksversprechen in den Wind zu schlagen. Oder anders gesagt: Mit Emotionen wird der Fisch angelockt und mit Rationalität definitiv an Land gezogen. Genau so funktioniert erfolgreiche Werbung. Da wir nicht nur aus zwei oder drei verschiedenen Duschgels wählen können, sondern aus dutzenden oder sogar hunderten, versuchen Werbebotschaften sowohl unsere Gefühle als auch unseren Verstand anzustacheln. Nur so erreicht man in unserer konsumorientierten Gesellschaft, wo wir stets die Wahl haben, genügend Aufmerksamkeit. Als Folge müssen wir täglich tausende Entscheidungen treffen, ob wir wollen oder nicht, und dies sorgt für Stress. Einerseits könnten wir uns jedes Mal falsch oder besser entscheiden, andererseits beansprucht das Dauerentscheiden unsere Hirnaktivität und unseren Hormonhaushalt. Und plötzlich war Lockdown. Die Möglichkeiten, um Sachen zu kaufen und Dienste zu konsumieren, waren auf einen Schlag massiv eingeschränkt. Ich weiss nicht, wie Sie diese einzigartige Zeit erlebt haben und wie stark Ihnen das Virus, sei es gesundheitlich, sozial oder wirtschaftlich, zugesetzt hat. Ich jedenfalls habe die Coronazeit als erstaunlich wohltuend erlebt. Und vielen Freunden und Bekannten ist es genauso ergangen. Denn auf einmal war der Entscheidungsdruck weg, da der Bundesrat bereits für mich entschieden hat. Kino oder Konzert? Italienisch oder thailändisch? In die Türkei oder nach Spanien? Die Antwort war stet dieselbe: zu Hause bleiben! Behördlich verordnet wurde die Welt plötzlich klein und heimelig, doch der damit verbundene Freiheitsverlust wirkte auch ungewöhnlich befreiend. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Entscheidungen, jetzt wo die Auswahl und die Möglichkeiten wieder steigen. Doch womöglich ist die wiedergewonnene Freiheit bloss eine Scheinfreiheit. Übrigens: Meine Frau und ich haben uns für Luzern entschieden, ganz ohne Bundesrat.

Franco Furger

Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.