26.03.2020 Carla Sabato 3 min
Ungeahnte Aussichten. Bild: Carla Sabato

Ungeahnte Aussichten. Bild: Carla Sabato

Es tut mir schrecklich leid, Ihnen an dieser Stelle einen weiteren Text über das Thema mit C aufzubürden. Ich verspreche Ihnen daher, das ominöse Wort wenigstens nicht zu erwähnen.
Leider stellte ich kürzlich in einem Telefonat mit einer Freundin fest, dass die aktuelle Situation auch tatsächlich dazu führt, dass es in Gesprächen nichts anderes zu erwähnen gibt. Ausser Sie-wissen-schon-was und damit verbundene skandalträchtige Neuigkeiten. „In der Migros gibt es seit Tagen kein Mehl mehr!“
„Es sind so viele ältere Menschen auf der Strasse!“
„Ich glaubs nicht, da waren die Leute grüppchenweise am Grillen!“ Etwas frustriert beendeten wir das Gespräch. Mir dämmerte, dass Social distancing nicht nur unsere körperlichen Aktivitäten, sondern auch unseren mentalen Austausch beeinflusste. Gar nicht gut.
Aber: Wo die Massnahme auf der einen Seite für mehr Distanz sorgt, führt sie in einer ganz anderen Angelegenheit überraschenderweise zu mehr Nähe. Paradoxerweise zu Menschen die man eigentlich gar nicht kennt. Zum Beispiel in Onlinekursen:  Wo Menschen normalerweise auf fast anonyme Weise zusammenkommen und man praktisch gar nichts über sie weiss, erhält man jetzt überraschenden Einblick in deren Privatsphäre. Diskussionen werden nicht nur mit wechselnden Aufnahmen der verschiedenen Menschen, sondern auch mit Ansichten in ihre Schlafzimmer, Vorhänge, Deckenbeleuchtungen oder Treppengeländer ergänzt. Manchmal kann man tatsächlich auch jemandem dabei zusehen, wie er mit dem Computer verschiedene Räume durchquert - und dabei beachtliche Kunstwerke in weitläufigen Gängen enthüllt. Nicht selten fand ich mich ungeahnt fasziniert vor dem Bildschirm wieder - um meine Mitstudenten ungewohnt nahbar zu erleben. Gleichzeitig verfolgte mich dieses Bedürfnis, ständig aufzuräumen und ja nichts herumliegen zu lassen. Könnte ja sein dass bald jemand meinen sehr privaten Wäschekorb spotten könnte.
Davon nicht genug, denn neben dem Internetfenster gibt es ja noch das echte. Nachbarn sind eine einmalige Quelle der Unterhaltung! Da kann man dem jungen Familienvater dabei zusehen, wie er seine beiden Kleinkinder vor den Fernseher setzt und danach im Zimmer daneben lange lange Zeit auf dem Bett sitzt. Oder wie er versucht Wäsche zusammenzulegen, während eines der Kinder auf dem Bett herumhüpft. Weiter gibt es auch den Nachbarn mittleren Alters, der mit einem Glas Whiskey auf dem Balkon sitzt, oder der dunkelhaarige Mann direkt darunter, der morgens seinen rot-seidigen Pyjama vorführt während er telefoniert. Und bei der Wohnung ganz oben - ja, die erstrahlt abends wechselweise in rotem oder gelbem Licht.
Ich würde sagen, es lohnt sich, verschiedene Fenster zu konsultieren. Obwohl, vielleicht wäre es besser, die eigenen Rollläden zu schliessen - wer weiss, was sonst alles ans Licht kommt?

Carla Sabato

Carla Sabato ist Studentin, ehemalige Praktikantin bei der Engadiner Post, Hobbyfotografin (liebend gerne in der Dunkelkammer), stolze Vegetarierin, Yoga-Praktizierende, Verfechterin gemässigter Klimazonen, Frühaufsteherin, Hundehalterin, Pragmatikerin, schwarze Rollkragenpullover Trägerin, Teilzeit Existentialistin, Raus-aber-richtig-Frau, schlechte Autolenkerin und Möchtegern-Vancouverite.