10.03.2020 Ruth Bossart 3 min
Fotos: Ruth Bossart

Fotos: Ruth Bossart

Das Handy ist das Tor zur Welt, auch dank den Live-Streams: Königliche Hochzeiten und Mitarbeiterversammlungen werden übertragen, Rettungsversuche von gestrandeten Walfischen genauso und auch Unglücke. Immer, wenn etwas Ausserordentliches geschieht, greift jemand zum Smartphone, dreht mit und verbreitet es live im Internet, damit jeder teilhaben kann am Schicksal der anderen. Das ist in Indien so aber auch zunehmend in Europa.

Wenn ich diese Zeilen schreibe, liegt Indien,  meine Wahlheimat der letzten zwei Jahre, bereits viele tausend Kilometer weit weg. Denn ich bin für eine Weile in Finnland. Unsere Familie macht auf dem Weg zurück die Schweiz einen Zwischenhalt in der Einsamkeit des Nordens, um sich in Europa wieder anzuklimatisieren – doch das ist eine andere Geschichte.

In Finnland wird es um diese Jahreszeit früh dunkel. Gemütlich knisterte das Feuer im Kamin unseres Ferienhauses. Wir lesen, als ein Piepsen eine Whatsapp-Nachricht ankündigt. Willst du mal checken, ob deine ehemalige Nachbarin ok ist?, schrieb mir meine indische Freundin Miel. Es soll in unserem Haus in Mumbai ein Brand ausgebrochen sein. Miel wohnt in der Nachbarschaft und die Nachricht hat sich wie ein Lauffeuer verbreitet.

Sofort wählte ich die Nummer meiner betagten Nachbarin Pushpa. Das Telefon klingelte ins Leere, was nicht erstaunlich war. Sie hat lediglich einen Festnetzanschluss und wenn tatsächlich ein Feuer ausgebrochen ist, wird sie hoffentlich die Wohnung verlassen haben. Inzwischen hat auch mein Sohn von seinen indischen Kollegen Meldungen bekommen, unser ehemaliges Heim in Mumbai stehe in Flammen. Einer schickte einen Link zu einem Live-Stream, in dem wir sehen konnten, wie Meter hohe Flammen aus unserem Stockwerk schlugen, wie die Feuerwehr nicht durchkam, weil die Zufahrt mit Autos versperrt war, wie hunderte Schaulustige die Arbeit der Rettungskräfte erschwerten und wie der Meereswind die Flammen weiter anfocht.

Und so sass ich vor meinem Smartphone in der Einsamkeit Finnlands und konnte live mitverfolgen, wie unser ehemaliges Zuhause in Mumbai, viele tausend Kilometer entfernt, abfackelte. 45 Tage zuvor hatten wir auf dem Vorplatz, auf dem nun sieben Löschfahrzeuge standen, unser Hab und Gut in einen Container verladen, der via Jeddah, Suezkanal und Rotterdam nach Bern kommen sollte. Eine absolut verstörende Situation. Ich guckte einen Live-Stream, doch fehlten mir jegliche Informationen zu diesen Bildern: Gab es Opfer, wo ist der Brand ausgebrochen, warum? Fragen über Fragen, die mich nicht schlafen liessen.

Erst viel später vernahmen wir, dass es zwar Verletzte aber keine Todesopfer gab, die älteren Bewohner vom Dach des Gebäudes mit Drehleitern gerettet wurden und dass sich einige Bedienstete dank den Regenrinnen in Sicherheit bringen konnten, denn das ganze Treppenhaus stand in Flammen und war unpassierbar. Auslöser des Brandes soll ein defektes Lampenkabel in der Wohnung unserer Nachbarin gewesen sein. Ihre Wohnung ist komplett ausgebrannt.

Die Untersuchungen der indischen Polizei dauern an und ich bin einfach nur dankbar, dass niemand gestorben ist. Und: dass wir uns entschieden hatten, alle unsere Möbel, Fotoalben, Kleider – ja den ganzen Hausrat bereits Ende Dezember in die Schweiz zu verschicken, mehr als einen Monat vor dem letzten Arbeitstag in Mumbai. Hätten wir das anders entschieden, benötigten wir wohl keinen Container mehr. 

Ruth Bossart

Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.