14.01.2020 Ruth Bossart 3 min
Jeans aber auch Wäsche aus dem Operationsaal werden hier gewaschen. Fotos: Ruth Bossart

Jeans aber auch Wäsche aus dem Operationsaal werden hier gewaschen. Fotos: Ruth Bossart

Ich habe mich immer wieder gewundert, was sich in den riesigen, Menschen grossen Stoffbündeln verbirgt, die die Velokuriere quer durch die Stadt balancieren. Manchmal sind die Ballen so gross, dass der Fahrer sein Rad schieben muss. Jetzt weiss ich es: Dreckige und saubere Wäsche. Von Privathaushalten aber auch von Hotels und sogar Spitälern.

Auch in meinem Quartier kurven die Wäsche-Wallas durch die Strassen und biegen jeweils an einer kleinen Kreuzung links ab. Kürzlich bin ich ebenfalls in diese kurze Gasse geraten. Ich war auf der Suche nach einer Papeterie. Dort soll es Gepäcketiketten geben. Denn kürzlich hat eine unaufmerksame Check-in-Dame meinen Koffer ohne Tag und Strichcode auf die Reise geschickt. Nur durch unglaublichen Zufall haben wir meinen schwarzen Rollkoffer im dunklen, unterirdischen Bauch der Gepäckverarbeitung des Mumbaier Flughafens wieder gefunden. Doch das ist eine andere Geschichte.

Als ich aus der Papeterie trat, fuhren rund ein Dutzend Fahrerräder, schwerst beladen, an mir vorbei. Ich hatte Zeit und folgte ihnen. Am Ende der Gasse, vorbei an ärmlichen Hütten, tat sich eine grosse Fläche auf. Eine Art Dorfplatz voller alter Badewannen und Betonwaschbecken. Darüber spannten sich Seile, die durch A-fömig zusammengezimmerte Holzstangen gehalten wurden. Freundlich winkte mir ein Mann, ich solle nur näher kommen.

An den Waschbecken und Badewannen standen ausschliesslich Männer. Ein Junge, kaum 12, wirbelte tropfnasse Jeans durch die Luft, ein junger Mann daneben Leintücher, die er schliesslich in eine mit einer Handkurbel angetriebene Schleudermaschine wirft.

Fasziniert schaue ich zu, wie er später die Wäsche an die Leine hängt, sie kunstvoll zwischen die gezwirbelten Seile klemmt. Wäscheklammern gibt es keine und der Wind vom nahen Meer bläst kräftig.

Täglich werden in dieser Openair-Wäscherei hunderte Wäschestücke gewaschen, später gebügelt, gefaltet und wieder verpackt, bereit zur Auslieferung. Und alle finden den Weg zurück via Fahrrad- zum Ort, aus dem sie kommen. Eine indische Kollegin bestätigt: dass etwas fehle, sei extrem selten. Jeder Waschmann habe sein eigenes System, doch es funktioniere einwandfrei. Sie schwört auf ihre Waschmänner. Muss sie auch, denn in ihrem Haus gibt es nur vier Stunden am Tag fliessendes Wasser, und immer wieder Aussetzer bei der Elektrizität. Das sind ungünstige Voraussetzungen für eine Waschmaschine. Zudem ist der Wäscheservice sehr günstig. Meine Kollegin rechnete aus, dass sie mit dem Geld für eine Maschine rund fünf Jahre Wäsche waschen lassen könnte, und zwar zweimal wöchentlich.

Das Waschen in den Trögen und ausrangierten Badewannen ist Schwerstarbeit. Die Mannen stehen täglich an oder in ihren Becken. Viele sind seit Generationen in dieser Profession. Und viele leiden an Hautauschlägen und Rheuma vom Wasser und den scharfen Reinigungs- und Desinfektionsmitteln.

Wie viel einfacher ihre Arbeit doch wäre mit einer Waschmaschine. Doch würd das den Männern und ihren Familien wirklich dienen? Was könnten sie, die Analphabeten am Waschtrog, anderes tun, als schmutzige Wäsche schrubben?

Für einen grossen Teil der indischen Bevölkerung fehlen die Mittel für eine grundlegende Ausbildung. Auch eine funktionierende Infrastruktur wie fliessendes Wasser und Strom ist nicht garantiert. Gleichzeitig investiert Premierminister Modi Milliarden Rupien, um zum Mond zu fliegen.

Ich bin sicher, auch er lässt seine Kleider von einem Waschmann waschen und findet dies nicht ungewöhnlich.

Ruth Bossart

Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.