14.05.2019 Franco Furger 4 min
Foto: z. Vfg

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Neulich versuchte ich, nichts zu tun. Ich dachte mir, der Mai ist der richtige Monat, um so etwas zu tun. Nichts. Einfach nichts. Rein gar nichts. Ich tat also nichts, sass einfach so da und liess meine Gedanken schweifen. Ist gar nicht so einfach, nichts zu tun. Mir kamen ständig Dinge in den Sinn, was ich stattdessen tun könnte: Im Buch weiterlesen, News checken, Besteck in den Geschirrspüler räumen, den Blog für die Engadiner Post schreiben... . Schliesslich klappte es: Ich dachte an nichts und träumte einfach in den Tag hinein. Herrlich. Man könnte jetzt einwenden, dass dies gar nicht möglich ist: Nichts tun. Etwas tue man schliesslich immer. Einfach nur so da zu sitzen, sei auch eine Tätigkeit. In diese philosophische Debatte will ich jedoch nicht eintreten. Vielmehr geht es mir darum, die Gedanken frei laufen zu lassen, ohne dabei eine bestimmte Absicht zu verfolgen. Keine Sorge: Dies wird keine Anleitung, um zu meditieren und sein Dasein in Transzendenz aufzulösen. Nein, beileibe nicht. Denn Meditation ist eine Tätigkeit mit einem klaren Ziel. Ich rede aber vom Nichtstun ohne Willen zur Leistung oder Veränderung. Ohne Sinn und Zweck. Ohne etwas Bestimmtes zu erreichen oder sich zu verbessern. Wenn Sie so richtig nichts tun, wechselt Ihr Gehirn in eine Art Leerlauf-Modus, so ähnlich wie Ihr Computer, wenn er nicht mehr aktiv benutzt wird. Um diesen beglückenden Zustand zu erreichen, müssen sie weder alkoholische Getränke oder Drogen zu sich nehmen, noch müssen sie meditieren oder sonstigen Riten praktizieren. Sie müssen einfach nichts tun und an nichts Bestimmtes denken. Diesen Leerlauf-Modus habe ich mir nicht in meinen Tagträumen ausgedacht, es gibt ihn tatsächlich. Entdeckt und beschrieben hat ihn der amerikanische Hirnforscher Marcus E. Raichle. Er nennt diesen besonderen Hirnzustand «Default Mode Network», auf Deutsch Leerlauf-Netzwerk. Da das Gehirn in diesem Zustand nicht auf äussere Reize reagieren muss, fängt es an, sich mit sich selbst zu beschäftigen, was verschiedene Prozesse in Gang setzt: Das Neuronen-Netzwerk wird neu organisiert, das Gedächtnis sortiert, zuvor Gelerntes verarbeitet. Da bei dieser Reorganisation neue Verbindungen im Hirn entstehen, können daraus auch neue Ideen entspringen. Ein berühmtes Beispiel ist die geniale Erfindung von Arthur Frey. Es geschah an einem ganz normalen Sonntag im Jahr 1974. Der Chemiker Arthur Frey sass in der Kirche und liess seine Gedanken schweifen. Da kam ihm plötzlich die zündende Idee. Er hatte zuvor einen leichten Klebstoff erfunden, für den er noch keine Anwendung gefunden hatte. Beim Singen in der Kirche flatterten ihm ständig die Lesezeichen aus dem Gesangsbuch ins Gesicht, worüber er sich schon oft geärgert hatte. Und als er sein Gehirn sich selbst überliess, fiel ihm ein: Sein Kleber würde stark genug sein, um die Zettel an Gegenstände zu heften, aber schwach genug, damit man sie problemlos wieder entfernen konnte. So wurde das Post-it erfunden, welches aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken ist. Im Prinzip ist es ganz einfach, in den Leerlauf-Modus zu gelangen, da unser Hirn dafür konstruiert worden ist. Insbesondere das Männerhirn kann angeblich leicht auf Standby schalten, wie der Comedian Mark Gungor humorvoll aufzeigt. (Siehe Video am Ende des Blogs). Doch in unserer Zeit haben wir das Nichtstun total verlernt. Spätestens seit jeder und jede ein Smartphone besitzt, ist das deutlich sichtbar. Früher war zum Beispiel der Zug ein beliebter Ort, um nichts zu tun und sein Gehirn sortieren zu lassen. Heute tippen und wischen alle auf ihrem Gerät herum und peinigen ihr Hirn ununterbrochen mit mehr oder weniger Nützlichem. Sind Sie gerade irgendwo in den Ferien und können es nicht lassen, engadin.online zu lesen? Das freut mich natürlich. Trotzdem rate ich Ihnen, mal einen halben Tag lang nichts zu tun, kein Buch zu lesen, auf keinen Bildschirm zu schauen, keinen Sport zu treiben, keine Kreuzworträtsel zu lösen, keine Sandburg zu bauen. Tun Sie einfach mal nichts und gönnen Sie sich diesen geistigen Leerlauf. Ihrer Kreativität zuliebe.

Franco Furger

Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.