19.03.2019 Franco Furger 3 min
Das beste Gefühl der Welt. Foto: Danya Schwertfeger

Das beste Gefühl der Welt. Foto: Danya Schwertfeger

Neulich war ich snowboarden. Das tue ich oft und schon ziemlich lange. Es war im März 1986, als ich das erste Mal seitwärts auf einem Brett stand und über den Schnee glitt. Was für ein Gefühl. Seither kann ich nicht genug davon bekommen. Es waren tolle Zeiten, und die Welt war in den Achtzigerjahren noch einfach gestrickt. Die Telefone zum Beispiel waren an Kabel gebunden, was uns teenagenden Snowboardern viel Freiheit gab. Wir zogen los mit unseren Boards in die Weiten der Berge. Und kein Anruf der Eltern oder sonst was rief uns zur Vernunft zurück. Wir waren ungestört und auf uns alleine gestellt, den ganzen Tag. «Wir sehen uns dann am Mittwochnachmittag auf Corviglia, okay?» So machten wir ab, ohne eine genaue Zeit oder einen bestimmten Treffpunkt zu nennen. Trotzdem trafen wir uns alle – meistens jedenfalls – und eroberten gemeinsam die Berghänge. Heutzutage ist man ohne WhatsApp-Gruppe sozial isoliert und ohne Smartphone schafft man es nicht einmal, sich in einer Bar zu treffen. «Bin am Tisch links, wo du? – ich auch, sehe dich nicht – Habe roten Pulli an und winke – hä? – ich sehe dich, dreh dich mal um.» Auch Fernsehen war in den Achtzigern einfach. Es gab bloss sechs Kanäle und auf einem lief «Ein Colt für alle Fälle». Es war die coolste Serie, die es je gab. Und Snowboarden war der coolste Sport überhaupt. Jeder, der etwas auf sich hielt, fing an zu snowboarden. Snowboarden war nicht einfach ein Freizeitvergnügen, es war – so abgedroschen es heute klingen mag – ein Lebensgefühl. Wir waren die Rebellen der Piste und hatten Overalls in knalligen Neonfarben an. Hauptsache auffällig und schrill. Wir hatten das Gefühl, zu etwas Grösserem zu gehören. In einige Skigebieten war Snowboarden sogar verboten. Die breiten Boards würden angeblich die Liftspur kaputt machen, so die Begründung. Die Lifttrassen hatten damals Spurrillen. Und diese waren in der Tat tückisch für unsere breiten Boards und sorgten für so manchen «Bügellift-Verkanter». Heil hochzukommen war fast schwieriger, als wieder runterzukurven. Wer den Trais-Fluors-Lift ohne rauszufallen meisterte, war schon ziemlich krass. Heute finden die Kids alles Mögliche cool. «Anything goes» befiehlt der Zeitgeist. Und so ist Langlaufen genauso angesagt wie Skifahren oder Eishockey. Wir hingegen hatten eine klare Rangordnung: Wir Snowboarder waren die Coolen, dann kamen die Eishockeyspieler, danach kam lange niemand, irgendwann kamen die Skifahrer und am Schluss die Langläufer. Wenn ich heute snowboarden gehe, fühle ich mich jedes Mal ein wenig wie damals. Die Alltagssorgen verfliegen im aufstiebenden Schnee, ich sehe den Berg als Spielplatz vor mir und noch immer versuche ich mich an kleinen Tricks. Das Gefühl, zu etwas Grösserem zu gehören, kommt so wieder auf, obwohl ich als Snowboarder zur Minderheit gehöre. Wo sind sie geblieben all die coolen Snowboarder? Man trifft nur noch wenige und viele sind alt geworden. Die Skifahrer haben die Führungsrolle am Berg erfolgreich zurückerobert, indem sie das Revolutionäre des Snowboardens einfach adaptierten: schnelles Carven auf der Piste, weite Schwünge im Tiefschnee, wilde Sprünge im Snowpark. Wir Snowboarder konnten die Skifahrer damit nur für kurze Zeit bedrängen. Trotzdem bleibt das Gefühl, das mir Snowboarden gibt, unerreicht. Eine Kurve in den Pulverschnee zu zeichnen oder in eine griffige Piste zu ziehen, ist das beste Gefühl der Welt. Das Seitwärtsstehen macht den Unterschied, es lässt dieses einmalige Gleitgefühl, dieses Surffeeling, dieses Spielerische entstehen. Ja, Snowboarden spielt man, Ski hingegen fährt man. Dies ist wahrscheinlich der Grund, warum es so wenige Snowboarder und so viele Skifahrer gibt: Man muss eine echte Spielernatur sein, um Snowboarden lieben und leben zu können.

Franco Furger

Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.