24.02.2019 Bettina Gugger 3 min
Foto: Bettina Gugger

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Top of Engiadina - aus der Sicht einer Unterländerin

In meinem ersten Blogbeitrag habe ich die These aufgestellt, dass die einfachsten Dinge die besten sind. Daher biete ich Euch diesmal einen kleinen Einblick in meine Alltagsfreuden. Die Liste ist aus Platzgründen unvollständig – die lange Version gibt’s auf bettinagugger.wordpress.com
  • 1.    Die Bäckerei Café Erni ist mein heimliches Odeon. Hier denke ich über die schützenswerten verstaubten Mobiliare und deren gesellschaftspsychologisch höchst wertvolle Funktion nach. Ich blättere in der Gala, um beruhigt diese Nichtwelt wieder auf den Zeitschriftenstapel zurückzulegen, und mich mit einem Bissen Dinkelbrötchen ganz meiner Gegenwart zu vergewissern.
  • 2.    Morgens um sieben in Sent auf dem Plaz auf den Bus zu warten, während sich bereits ein Tag wie aus dem Bilderbuch ankündigt. Seit ich hier lebe, bin ich mit dem Morgen versöhnt; die glasklare kalte Luft suggeriert ein Meer von Möglichkeiten, das in meinem ausgeruhten Bergler-Ich sanft rauscht. Während sich die Lungenbläschen öffnen, sammeln sich langsam die Frühaufsteher. Bun di!
  • 3. Überhaupt wird wohl das Licht im Engadin der eigentliche Grund für das Wohlbefinden seiner Bevölkerung sein. Wer im Engadin nicht zumindest die Möglichkeit der Lichtnahrung in Betracht zieht, muss tagein tagaus eine Sonnenbrille tragen und hat wohl niemals Segantini gesehen. «Der Himmel ist extrem klar – ein warmes sattes Blau – das macht alles so leicht, als ob die Kälte nicht existierte, die Mühsal. Nur Stille. Und die Berge sind so scharf umrissen», schreibe ich einem Freund auf Facebook. Auf dem Foto, auf Facebook und Instagram wird man dieses Licht nie sehen.
  • 4. Eines meiner ersten Wörter in Rumantsch war Pendicularas. Wenn morgens die Arbeiter der Bergbahnen in einer Linie zur Bahn marschieren, muss ich unweigerlich an Armageddon denken. Nicht, dass ich glaube, dass die Welt auf dem Motta Naluns untergeht, um Himmels Willen! Die Männer erinnern mich mit ihrem stolzen schweren Gang an Astronauten, die Verantwortung tausender Skigäste auf ihrem Rücken tragend. Und wie sie abends den Hang herunterflitzen – mit Lichtgeschwindigkeit!
  • 5. Eine besondere Berufsgattung sind natürlich unsere Buschauffeure, wie die Grosis in meiner Heimat die Chauffeure possessiv bezeichnen. Ganz so, als ob es ihre Söhne wären. Die Engadiner Chauffeure bestechen durch ihren Charme und ihre nie enden wollende Freundlichkeit, wobei sie Wert darauf legen, dass die Dörfer richtig ausgesprochen werden. Nichts ärgert einen Chauffeur mehr als ein S-chanf mit rauem ch ausgesprochen. Aber wo sonst öffnet ein Chauffeur während der Fahrt die Türen, um auszurufen: «Ein Hirsch! Schaut, ein Hirsch!» Ich werde dem Tourismusbüro vorschlagen, ein Panini-Album mit Scuols Buschauffeuren rauszubringen, inklusive der Mannschaft der Rhätischen Bahn, die ebenfalls Nerven wie Drahtseile und eine Hilfsbereitschaft an den Tag legt, als ob das Engadin in Nordthailand läge.

Fazit: Es sind die kleinen lichtvollen Begegnungen, die das Leben lebenswert machen.

Bettina Gugger

Bettina Gugger verbrachte die letzten Jahre im Engadin, zuletzt war sie Redaktorin bei der «Engadiner Post/Posta Ladina». Nun hat es sie wieder einmal ins Unterland verschlagen, wo sie für den «Anzeiger Region Bern» über das kulturelle Leben Berns berichtet. 2018 erschien ihr Erzählband «Ministerium der Liebe». 2020 folgte «Magnetfeld der Tauben». Im Rahmen eines Stipendienaufenthaltes in Klosters entstand der Kalender «Kunst BERGen», der 24 literarische Texte über Kunst versammelt. Auf bettinagugger.ch veröffentlich sie regelmässig kurze lyrische Prosatexte und einen Podcast für praktische Lebensfragen.