22.01.2019 Franco Furger 3 min

Neulich besuchte mich meine neue Freundin in meiner neuen Wohnung. Ich kochte, und sie machte die Küche sauber. Beim Einräumen des Geschirrspülers stellte sie Gabeln, Messer und Löffel mit dem Griff nach unten in den Besteckkorb, so dass Zacken, Spitzen und Kanten bedrohlich nach oben schauten. Mir ist das zu umständlich, auch wenn das Besteck dadurch angeblich gründlicher gereinigt wird. Ich schmeisse die Essgehilfen lieber kopfvoran in die Spüle. So mache ich mir die Finger nicht dreckig, und beim Ausräumen lange ich mit meinen dreckigen Fingern nicht in den Mundbereich des Bestecks. Saubere Sache also. Und noch etwas passte nicht in mein Aufräumschema: Die Rüstmesser landeten ebenfalls in der Spülmaschine, immerhin mit der Spitze nach unten. Ich hingegen wasche scharfes Gerät stets von Hand ab. So werden die Klingen vor Korrosion geschützt und bleiben länger scharf. Doch was bedeutet diese Verschiedenheit für unsere Beziehung? Bin ich einer der mit dem Kopf stets vorauseilt, während sie mit beiden Füssen fest auf dem Boden steht? Bin ich eher pragmatisch veranlagt, während sie gewissenhaft ist? – der Hersteller empfiehlt nämlich ihre Technik. Oder bin ich kleinlich, dass ich die Messer von Hand reinige und mir überhaupt solche Gedanken mache, während sie einfach nur grossherzig ist? Da ich mir nicht sicher war, ob unsere Beziehung schon fortgeschritten genug ist, um über Küchenbanalitäten zu debattieren, nahm ich ihre Abweichung kommentarlos hin. Gott sei Dank hatte ich als langjähriger WG-Bewohner gelernt, mich nicht unnötig über andersartige Küchengepflogenheiten aufzuregen. Menschen regen sich ohnehin viel zu oft über Unnötiges auf: über langsame Autofahrer und unfreundliche Bedienung, über verpasste Züge und lästige Werbeanrufe, über das Wetter und Staus. Sich in solchen Situationen aufzuregen, bringt ja nichts; im Prinzip ist dies allen klar und trotzdem regen sich viele auf. Warum eigentlich? Wahrscheinlich weil wir Menschen meinen, dass wir es besser wissen und können als die anderen. Weil wir überzeugt sind, dass wir stets richtig liegen und die anderen falsch. Wir erheben das eigene ICH gerne über das DU des Gegenübers. Manchmal zu Recht, aber viel zu oft zu Unrecht. Eine Ausnahme dieser allzu menschlichen Regel bilden Frischverliebte wie ich. Diese sehen im DU mit den schönen Augen und lockigen Haaren eine Art Supermensch, der mit einem einzigen Augenaufschlag Gefühle in frohe Verwirrung setzen kann. Und so ähnlich funktioniert auch der Schlüssel zu mehr Gelassenheit: Stelle dir dein Gegenüber – vor allem wenn es dich so richtig nervt – freundlicher, intelligenter, charmanter und liebevoller vor, als es auf dich wirkt. Ist nicht immer einfach, aber es funktioniert. Nun freue ich mich, die Küche meiner Freundin kennenzulernen. Sie hat keinen Geschirrspüler, wie sie mir verraten hat. Ob Sie wohl lieber das Abwaschbürsteli oder den Kratzschwamm verwendet? Ich bin gespannt, es herauszufinden.

Franco Furger

Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.