24.03.2016 Ruth Spitzenpfeil 3 min
Sieht trotzdem aus wie Weihnachten: Die St. Moritzer Sonne

Sieht trotzdem aus wie Weihnachten: Die St. Moritzer Sonne

Kalt senkt sich die Nacht auf das Engadin. Eine weisse, weiche Decke hat alles eingehüllt. Leise fallen einige Flocken. Und schaut mal, da scheinen goldene Lichtlein auf den Schnee. Sie schmücken den Baum vor dem Grand Hotel und vor der Kirche, sie ranken sich hinauf an der Fassade des Restaurants und spannen sich über die Strasse. Welch festliche Stimmung. Oh du fröhliche, oh du selige. Bin ich im falschen Film? Hallo Leute, es ist Ostern! Aber bei vielen Verantwortlichen für den öffentlichen Raum in den Engadiner Gemeinden sowie bei Hoteliers und Hausbesitzern scheint sich das noch nicht herum gesprochen zu haben. Spaziert man dieser Tage des Abends durch die Strassen erblickt man allenthalben noch die voll montierte Weihnachtsbeleuchtung so als wäre es Dezember (siehe Bilderstrecke). Gut, bei manchen Ferienwohnungen, in denen das letzte Mal am 3. Januar die Betten gewärmt worden waren, hat man vielleicht einfach vergessen, die Zeitautomatik der Terrassenbeleuchtung abzuschalten und der Gärtner ist erst wieder für den Juni bestellt. Aber was soll man zu dem Christbaum vor der Kirche in der St. Moritzer Fussgängerzone oder dem vor dem «Kempinski» sagen? Ein riesiger Tannenbaum leuchtete bis Mitte März auch noch in Champfér vor dem «Giardino Mountain». Aber da ist es in der letzten Woche dann doch noch jemand eingefallen, dass die Gäste nicht ewigen Winter wollen, sondern vielleicht eher mit den Freuden des Frühjahrs-Skifahrens gelockt werden könnten. Mag ja sein, dass dieser Winter erhebliche Ladehemmung hatte und die weihnachtliche Stimmung unter dem Schneemangel doch etwas litt. Aber dieser Nachholbedarf sollte jetzt langsam gestillt sein. Als gute Katholikin habe ich mich zur Sicherheit bei meiner Kirche schlau gemacht. Als allerletzter Tag der Weihnachtszeit geht allerhöchstens noch der 2. Februar durch. Nämlich dann, wenn man zu den Traditionalisten gehört, welche die Liturgiereform von 1970 nicht mitmachen wollten. Aber nach diesem Tag der «Darstellung des Herrn», im Volksmund auch «Maria Lichtmess» genannt, muss definitiv Schluss sein mit dem ach so romantischen Lichtlein-Kitsch.
Bildstrecke: Wenn es an Ostern noch weihnachtet Ehrlich gesagt, es ist, glaube ich, einfach Faulheit, wenn es vor Restaurants und Hotels jetzt noch weihnachtlich glitzert. Sie wollen sich keine Gedanken machen über eine Dekoration, die österlich daherkommt, und trotzdem zum Winter passt. Klar, das ist nicht so einfach, denn bei Primeln und Narzissen muss man schon sehr aufpassen, dass sie nicht auch tagsüber mal ein frostiger Wind killt. Und Bäumchen mit Ostereiern überleben vielleicht auch nicht die jederzeit möglichen Schneefälle. Aber es gibt sie, die kreativen wie die konventionellen Lösungen. Aber viele meinen wohl, weil mit der Saison ja sowieso nach dem heuer recht frühen Ostern Schluss ist, lohnt sich der Aufwand nicht mehr. Macht einen schlechten Eindruck, sage ich. Und zuletzt muss ich noch ein Hühnchen mit St. Moritz rupfen. Was soll die nach wie vor eingeschaltete Zusatzbeleuchtung der Dorfstrassen? Das ist ja die St. Moritzer Sonne und kein Weihnachtsstern, werden die Schlaumeier in der Gemeinde sagen. Aber es ist die Weihnachtsbeleuchtung und wird von Gästen auch so empfunden. Und überhaupt muss die Sonne nicht auch noch in der Nacht scheinen. Ich finde: Geht gar nicht.

Ruth Spitzenpfeil

Pendlerin zwischen Zürich und dem Engadin, die ihr Büro nicht selten in der Rhätischen Bahn aufschlägt. Sie arbeitet seit 35 Jahren als Journalistin, davon die meiste Zeit bei der Neuen Zürcher Zeitung. Dort galt sie als die inoffizielle Engadin-Korrespondentin, hat unzählige Geschichten im Tal recherchiert und Filmbeiträge produziert. Bekannt wurde sie auch mit ihrem Video-Blog «In fremden Federn», einer Serie von witzig-kritischen Hoteltests.