01.05.2018 Ruth Bossart 4 min
In der Blechlawine zur Blütenpracht: für Türken kein Widerspruch. Bild: Ruth Bossart

In der Blechlawine zur Blütenpracht: für Türken kein Widerspruch. Bild: Ruth Bossart

In Istanbul werden jedes Jahr 20 Millionen Tulpenzwiebeln gesetzt. Für ein paar Wochen sind darum die Parks belagert, denn die Türken vergöttern Tulpen. Was viele nicht wissen: die Tulpe ist eine ur-türkische Blume, auch wenn ihre Zwiebeln heute vornehmlich aus Holland stammen. Die zarte Pflanze ziert traditionelle Keramik, die Prunksäle der Sultans-Paläste, auch die Eingangshalle der zweitältesten Untergrundbahn der Welt, der Tünel-Bahn. Im 16. Jahrhundert kam die Tulpe von Istanbul via Wien nach Amsterdam und löste dort eine wahre Tulpomanie aus. Diese Begeisterung wird in Istanbul noch heute gelebt und dafür ist der türkischen Familie kein Aufwand zu gross. 

Schon die Anfahrt ist kompliziert. Türkische Familien nehmen am liebsten ihr eigenes Gefährt, den Platz auf  den allerletzten Millimeter ausgenutzt, um zum und in den Park zu fahren. In der Nähe meines Wohnortes liegt der Emirgan-Park, ein Top-Tulpen-Spot. Bereits um zehn Uhr morgens sind die Zufahrtsstrassen im Umkreis von einigen Kilometern verstopft. Doch das ist für die Türken kein Grund für Ärger, im Gegenteil. Die Wartezeit im Verkehrsstau steigert die Vorfreude. Am Strassenrand bieten geschäftstüchtige Händler alles für das leibliche Wohl feil: warme Brötchen und Simit, Wasser, heissen Tee, für die Kinder Zuckerwatte. Da sich die Blechlawine nur im Schneckentempo bewegt, steigen viele aus dem Auto aus, beginnen mit den anderen Wartenden zu diskutieren, die Kinder spielen Fangis, bestürmen ihre Eltern, nicht nur Schleckereien sondern auch noch Plastikspielzeug zu erstehen. Das Volksfest beginnt schon in der Warteschlange.
Am Anstehen sind mit grösster Sicherheit auch Hochzeitsgefährte, erkennbar an Tüllschlaufen an Rückspiegeln und Autoradioantennen. Ein Schnappschuss des  Brautpaares im Tulpenmeer – für eine Erinnerung an den schönsten Tages des Lebens gerade recht. 
Einmal im Park angekommen, wird eine Schar Helfer besorgt sein, dass die Frischvermählten im richtigen Licht, in adretter Haltung, kunstvoll drapiertem Tüll und vor der passenden Farbe Tulpe abgelichtet wird. 
Den Hochzeitspaaren gegenüber sind die zahlreichen Aufpasser in den Parks milde gestimmt. Ansonsten kennen sie keine Gnade und pfeifen jeden mit schrillem Ton zurück, der den Weg verlässt und den zarten Pflanzen zu nahe kommt. Doch die Bräute und Bräutigame dürfen sich vor die Beete legen, hinter ihnen posieren, die einen mit mit verschleiertem Haupt, andere in sexy schulterfreier Spitzenpracht – je nach Frömmigkeit.  In der Blechlawine zur  Blütenpracht ist für die Türken kein Widerspruch. Darum freuen sie sich auch über die jüngste Kreation – diesmal aus Beton, die  am neuen Flughafen im Norden Istanbuls gebaut wird. Dort thronen die Fluglotsen künftig in einem Kontrollturm, der der Nationalblume nachempfunden ist: 17 Stockwerke hoch, mit drei Lifts, einer Cafeteria plus einem Fitnessraum und Squash-Court.

Tulpen überall, auch die Eingangshalle der zweitältesten Untergrundbahn der Welt, der Tünel-Bahn

In Istanbul werden jedes Jahr 20 Millionen Tulpenzwiebeln gesetzt. Für ein paar Wochen sind darum die Parks belagert, denn die Türken vergöttern Tulpen. Was viele nicht wissen: die Tulpe ist eine ur-türkische Blume, auch wenn ihre Zwiebeln heute vornehmlich aus Holland stammen. Die zarte Pflanze ziert traditionelle Keramik, die Prunksäle der Sultans-Paläste, auch die Eingangshalle der zweitältesten Untergrundbahn der Welt, der Tünel-Bahn. Im 16. Jahrhundert kam die Tulpe von Istanbul via Wien nach Amsterdam und löste dort eine wahre Tulpomanie aus. Diese Begeisterung wird in Istanbul noch heute gelebt und dafür ist der türkischen Familie kein Aufwand zu gross. 

Es fehlt an nichts. Das Fest beginnt in der Warteschlage.

Ein Foto für's Leben - mit Tulpen und Schulter frei.

Den Hochzeitspaaren gegenüber sind die zahlreichen Aufpasser in den Parks milde gestimmt. Ansonsten kennen sie keine Gnade und pfeifen jeden mit schrillem Ton zurück, der den Weg verlässt und den zarten Pflanzen zu nahe kommt. Doch die Bräute und Bräutigame dürfen sich vor die Beete legen, hinter ihnen posieren, die einen mit mit verschleiertem Haupt, andere in sexy schulterfreier Spitzenpracht – je nach Frömmigkeit. 

Ruth Bossart

Ruth Bossart ist Historikerin und lebt mit ihrem Mann und Sohn Samuel seit diesem Frühjahr in Bern. Zuvor berichtete sie für das Schweizer Fernsehen aus Indien. Laufen, Ski- und Velofahren gelernt hat Samuel in Pontresina und Zuoz, bevor die Familie 2010 nach Singapur und später in die Türkei zog. Jedes Jahr verbringen die Drei aber immer noch mehrere Wochen im Engadin – nun nicht mehr als Einheimische, sondern als Touristen.