21.03.2018 Gianna Olinda Cadonau 3 min
Gianna Olinda Cadonau

Gianna Olinda Cadonau

Es liegt eine gewisse Ordnung darin, eine Reise am Ort der Kindheit zu beginnen, in Scuol also, dann dem Inn in Flussrichtung zu folgen, so das Ende des Tals zu erreichen und die Landesgrenze. Mir kommt es zumindest so vor. Aus dem Busfenster betrachtete ich das Flussufer, wie sich da, jetzt im Nachbarland, mehr Birken aneinanderreihten als zuvor, dazwischen Kiefern, später dann noch mehr Birken und Pappeln, aber so ganz sicher war ich mir da nicht. Ohne Laub ist’s für den Nichtbotaniker doch etwas schwieriger. Das Tal, ist wie unseres, nur auf Deutsch anstatt auf Romanisch nach dem Inn benannt, sonst sieht es nicht wirklich anders aus, zumindest so nah hinter der Grenze noch nicht. Wir fuhren quasi einfach ein bisschen flussabwärts. Wir sind dem Inn bis nach Innsbruck gefolgt, zwar eher aus praktischen Gründen, als wegen der Flusslaufsreiseordnung. So konnte der kleine Sohn Ferien bei nona und bazegner machen und wir zwei Eltern, wieder einmal testen, welchen Grad unsere quality time zu zweit erreichen kann. Wir taten diszipliniert und erfolgreich nichts. Ok, ein bisschen Kino, das ist einfach zu schön um darauf zu verzichten, und an den Abenden tranken wir Meisterwurzschnaps, serviert mit Schüttelbrot und einheimischer Wurst. Und natürlich redeten wir. Vor allem miteinander, aber auch mit dem einen oder anderen Tiroler. Da war zum Beispiel Seppi, ein Stammtischgast einer winzigen Kneipe, ehemaliger KGB-Spion, was wahrscheinlich geflunkert war, mit dubiosen Geschäften in Singapur, was wahrscheinlich auch, aber vielleicht etwas weniger geflunkert war. Er meinte, die Mentalität sei dieselbe, hier im Tirol, in Bayern, wo mein Mann aufgewachsen ist, und hinter der Grenze, im Engadin. Das glaubte ich ihm dann nicht, schon wegen der Sprache und sowieso, aber da bin ich dann nicht weitergekommen, weil ich zugeben musste, das Tirol nicht wirklich zu kennen. Was ich nicht zugab war, dass ich dubiose Vorurteile gegenüber Tirolern habe, oder hatte, aber solche mit Nachwirkungen. Wahrscheinlich wegen all der Witze, die wir als Kind über Tiroler und Schwaben gemacht haben, ich weiss es nicht genau. Was ich auch nicht zugab war, dass ich einfach nicht gern mit wildfremden Menschen rede. Mit jemandem, mit dem ich sowieso irgendeine geschäftliche oder sonstwie gesellschaftliche Transaktion durchführen muss ein bisschen mehr zu reden als unbedingt nötig, das geht. Ich hatte schon inspirierende und geistreiche Gespräche mit Barkeepern, Schaffnerinnen, oder Ärzten. Als ich mir nun in diesem Kneipchen überlegte, ob und wenn ja, wie genau ich mich durch Seppi gestört fühlte, fand ich keinen wirklich guten Grund. Er war nicht unhöflich, stellte keine aufdringlichen Fragen, wollte uns auch nicht von irgend etwas überzeugen. Im Gegenteil, er schien ganz zufrieden mit sich, der Welt und seinem Schnupftabak. Es ist eben doch etwas anderes, ganz ohne Grund mit einem wildfremden Menschen ein Gespräch anzufangen. Das entspricht nicht der Flusslaufordnung unserer Breitengrade. Zumindest nicht für den Typ Mensch, der ich bin. Ich mache das nicht. Ich habe das Gefühl mich aufzudrängen, zu stören. Dabei kann das wirklich lustig sein, wenn die Grundregeln stimmen und ich nicht unfreiwillig irgendwo hinein gequasselt werde, zufrieden machen und quasi das Gefühl mit der Welt verbunden zu sein stärken. Seppi wollte uns nicht verraten, ob es nun Waffen, Rauschgift, Menschen oder doch Informationen waren, mit denen er in Südostasien handelte, auch nach etlichen Bieren und Schnäpsen nicht. Statt dessen gingen wir alle nach Hause, wunderten uns, was ein so harmloses Städtchen doch für Rätsel beherbergte und stellten zufrieden fest die Welt flussabwärts jetzt etwas besser zu kennen.

Gianna Olinda Cadonau

Gianna Olinda Cadonau (*1983) befasst sich mit Kunst und Kultur. Die romanische fördert sie als Kulturverantwortliche bei der Lia Rumantscha, die Graubündnerische als Mitglied der kantonalen Kulturkommission und diejenige für die kleine Bühne als Co-Leiterin des Kulturorts La Vouta, Lavin. Schreibend, singend und Butoh tanzend gibt sie sich ihr auch selbst immer wieder hin. Zwischendurch und währenddessen lebt sie mit ihrer Familie in Chur.

Foto: Yanik Bürkli, Bündner Tagblatt