18.12.2017 Franco Furger 3 min

Neulich hatte ich meinen letzten Einsatz als Hüttenbub der Segantinihütte: Ich konnte als stellvertretender Leistungsträger am Kick-off der Tourismusorganisation teilnehmen. Zugleich war es mein erster Einsatz als Lifestyle-Blogger.
Also sitze ich im grossen Rondosaal und erfahre, dass die Marke «Engadin St. Moritz» in zwei Marken aufgeteilt wird, in «Engadin» und in «St. Moritz». Das ist ja schon länger bekannt, aber ich höre auch Neues: So soll das Engadin der inspirierendste Sehnsuchtsort der Schweizer Berge werden, wie der neue Leitsatz heisst, um die Markenstrategie fürs Engadin zu umschreiben.
Sehnsucht, ja, das klingt gut. Wer Sehnsüchte bei den Menschen auslösen kann, der ist bestimmt erfolgreich. Nur eines versteh ich nicht: Warum der inspirierendste Sehnsuchtsort? Warum dieses Überbleibsel des inspirierenden Hochtals, wie es früher hiess? Für mich schiesst diese hochgeschraubte Formulierung über das Ziel hinaus. Denn Überhöhungen tendieren dazu ins Negative zu kippen. Und eine überhöhte Sehnsucht ist nichts anderes als Gier. Und von dieser sollten wir uns definitiv verabschieden im Engadin.
Überraschend ist die neue Umschreibung der Marke St. Moritz: Der extravaganteste urbane Lifestyle in den Bergen. Zwar droht auch hier ein Superlativ, der die schicke Extravaganz nahe an die Überheblichkeit rückt, und diese ist in St. Moritz leider keine Unbekannte; interessant finde ich jedoch den urbanen Lifestyle. Im Rondosaal sitzend fange ich an, mir ein Bild zu malen, wie so ein St. Moritz aussehen könnte. 
Ich stelle mir vor, ich sitze wie Giovanni Segantini auf dem oberen Schafberg und sehe das Bergpanorama und die Seenlandschaft vor mir. Am Ufer des St. Moritzersees zeichne ich eine Skyline, entworfen von den besten Architekten der Welt. Die Strassen von St. Moritz Dorf fülle ich mit Leben, mit stilvollen Cafés und lässigen Shops. Autos verbanne ich unter die Erde und entwerfe ein Netz aus Seilbahnen, die einen von den Hochhäusern am See direkt ins Dorf und weiter ins Skigebiet bringen. Es entstehen Plätze, wo sich Leute treffen und Konzerte stattfinden. Denn in den Hochhäusern wohnen und arbeiten Menschen, das ganze Jahr. Sie haben coole Jobs in der Computerbranche und viele Kinder, die später auch einen coolen Job im Tal ausüben. Die zersiedelten Teile von St. Moritz in Richtung Silvaplana radiere ich aus und gebe sie der Natur zurück.
Ich schaue mir mein Gemälde an und vergleiche es mit dem heutigen Bild von St. Moritz und stelle fest: Ein urban verdichtetes St. Moritz und ein entschleunigtes und ursprüngliches Engadin drum herum stören das Landschaftsbild nicht, zumindest von der Segantinihütte aus betrachtet nicht.
Zurück ins urbane Zentrum der Gegenwart, das zurzeit im Rondo in Pontresina liegt. Dort geht ein langer Kick-off dem Ende zu und der Tourismuschef Gerhard Walter schliesst mit einer Überraschung: Er verbannt den Leistungsträger und nennt Hotelierinnen, Bergbahndirektoren, Skilehrerinnen, Buschauffeure und Hüttenbuben ab sofort nur noch Partner. Das ist das Besteste, was ich an diesem Abend gehört habe.

Franco Furger

Franco Furger ist in Pontresina aufgewachsen und hat am Lyceum Alpinum Zuoz die Matura absolviert. Danach tourte er als Profi-Snowboarder um die Welt und liess sich zum Journalisten ausbilden. Er arbeitete als Medienkoordinator bei Swiss Ski, Redaktor bei der Engadiner Post und World Cup Organisator bei der Corvatsch AG. Im Sommer 2017 bloggte Franco über seine Erlebnisse als «Chamanna Segantini-Hüttenbub». Die Liebe führte ihn dann in die Stadt Luzern, wo er die Sonne und die Bündner Berge vermisste. Nun lebt er als freischaffender Texter mit Frau und Sohn in Laax.