02.11.2017 Riet und Romana Ganzoni 3 min

In einem Internet-Forum, das von intelligenten (unterforderten, frustrierten) Leuten zum Streiten genutzt wurde, gab es vor ein paar Jahren zwei Diskutanten, die sich urplötzlich freundlich begegneten. Ich stieg ebenfalls vom Ross, liess den Zweihänder sinken und stand mitten in einem Roman von Erich Remarque, wo zwei Männer sich nach allen Regeln der Kunst beschimpfen, so dass ihnen zuletzt nur noch einfällt, voreinander den Hut zu ziehen, in Anerkennung ihrer kreativen Leistung. Was war im Internet-Forum geschehen? Es war ein Wort gefallen, das auf alle Texte, die zu über 50% aus gedrechselten Beleidigungen bestanden, ausstrahlte. Der Ekelhafte hatte dem Besserwisser nämlich (ohne Sarkasmus, wie sich im weiteren Gespräch herausstellte) «Godspeed!» gewünscht, weil der irgendwohin verreiste. Das Ekel wollte zum Klugscheisser wohl eher «Geh mit Gott, aber geh!», sagen, vielleicht hatte er aus einem Reflex heraus diesen altmodischen englischen Ausdruck, der sprachgeschichtlich Good und God vermischt, gebraucht. Und nun stand da halt: Godspeed. Da konnte der Sender minutenlang auf die Delete-Taste hämmern und einen Widerruf fordern, nutzlos. Dumm gelaufen. Er hatte zum Widersacher eben gesagt: I wish that God may grant you success. Das stammt von «God» and «speed» (in its old sense of «prosper, grow rich, succeed», an expression of good wishes to a person starting a journey). Tja. Mitten im Geschiebe aus zänkischer Langeweile, hohler Rhetorik und Ego-Bewirtschaftung mit vorgeschobenem Sachthema glänzte ein Karfunkelstein, auch so ein Zauberwort aus einer anderen Zeit. Es bezeichnet rote Edelsteine: Rubin, Granat, Spinell. Wenn man das nicht weiss, dann ist das einfach der Stein der Steine, der demjenigen vorbehalten ist, der ihn verdient, ohne dass er oder sie dafür eine Leistung bringen muss, ein reines Herz genügt. So verstand ich das als Kind. Genauso wollte ich im Krach-Forum «Godspeed» nicht als Wunsch für eine gute Reise verstanden haben, sondern als Wunsch, der andere möge göttliches Tempo erfahren. Verdammt, das wollte ich auch! Wie in der griechischen Antike. Das Göttliche bezeichnet da die Selbstbewegung, es braucht nichts ausser sich, um in Bewegung zu kommen. Der Mensch aber muss von aussen bewegt werden. Ganz im Unterschied zur buddhistischenVorstellung: der Mensch, der in sich ruht. Godspeed nun, etwas, das mich einschliessen könnte, ein poetisches Perpetuum Mobile, ein federleichtes Gefährt, das mich auf- und mitnimmt, unverhofft, als wäre ich ausser mir auf höchstem Niveau und Teil des Gefährts? Wie schnell fährt nun dieser Gott mit mir? Rast er? Wie Licht? 300'000 Kilometer pro Sekunde? Nein, viel schneller. Und ich könnte trotzdem alles sehen, alles hören, riechen, schmecken, anfassen, alles studieren, bis in alle Ewigkeit, ich wäre überall und nirgends, in meinem Körper, in jedem Kopf und ausserhalb, da und dort, gleichzeitig (als hätte ich zusätzlich auch noch den Zeitumkehrer aus Harry Potter geklaut, dieses kleine silberne Stundenglas, mit dem man alles doppelt erlebt). Im Kreis herumgehen und dieser Kreis sein, auf Ab- und Umwege geraten, die alle zu mir führen, auf Irrwegen, Auswegen, Inwegen wandeln, Patientin und Ärztin sein in ein und derselben Handlung. All das. Und die Fahrt und jeder schwerelose Godspeed-Schritt würde mir Energie und Zeit zuführen – in Denkgeschwindigkeit. Das wünschte ich mir vor dem Monitor, im weichen Sessel sitzend. Und irgendwann schnappte ich wieder meinen Zweihänder, pfiff den Rappen herbei und stürzte mich ins Getümmel.

Riet und Romana Ganzoni

Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.