04.09.2017 Riet und Romana Ganzoni 5 min
Foto: Romana Ganzoni

Foto: Romana Ganzoni

Fremdgehen ist eine Option im Leben, eben ist ein Handbuch für Frauen dazu rausgekommen, es heisst „Fremdgehen“ (vor einem Jahr gab es bereits ein Buch mit dem selben Titel beim Rotpunktverlag, Edition Blau: Fremdgehen; scheint ein Trend zu sein), da kommen alle zu Wort, die wissen, wie das geht, dieses Fremdgehen (seltsamer Begriff), aber sagt da auch eine, was das kostet, nicht nur karmisch-energetisch-emotional-genital-mental-organisatorisch? Leider Gottes ist das Fremdgehen einfach viel zu teuer auf der Hochpreisinsel Schweiz. Ich würde eh lieber in Italien fremdgehen. In Rom zum Beispiel. Ewige Stadt, Springbrunnen und so. Franken-Euro-Verhältnis, Preis-Leistung: Top! Zumindest an der Peripherie. 
Fremdgehen in der Schweiz liegt zum jetzigen Zeitpunkt nicht drin. Nicht nur weil mit Einheimischen aus Niederbipp und Stans grade voll keinen Staat zu machen ist. Ich kann doch nicht jedes Nachtessen und jeden Hotelbesuch zur Hälfte bezahlen, porca miseria! Doch ich glaube, ich komme nur an Einheimische ran. Vielleicht ist mein Selbstwertgefühl von den vielen Jahren im ausgeleierten Trainer zu Hause etwas morsch geworden. Nur: Kann ich mir einen Schweizer leisten? Nein. Die Schweizer Männer meinen nämlich, Schweizer Frauen wollen alles zur Hälfte bezahlen, wegen der Selbstachtung und solch gravierenden Missverständnissen. Ich will niemals zur Hälfte bezahlen, ich will nicht einmal ein Drittel bezahlen, im Fall. Ich will gar nichts bezahlen und auch kein Trinkgeld geben. Ich bin eine Frau. Hallo?! 
In meiner Jugend, als alles millionenfach besser war, als alles richtig war und fair und super, dachten wir Frauen, Sex sei ein knappes Gut, und dass wir den Markt voll kontrollieren. Scheinbar hat sich da eine bösartige Verschiebung eingeschlichen, weiss auch nicht, wann das passiert ist, vielleicht parallel zum Mauerfall? Jetzt kostet simples Fremdgehen für mich plötzlich bei einer normalen wöchentlichen Hotel- und Nachtessenfrequenz zu 70.— (mit drei Gläsern Rotwein, Toscana, schwer) sowie 120.--  (für eine anständige Pension) fast 10'000 Franken pro Jahr, das sind nur die Fixkosten, exkl. Nebenkosten, die ich unten im Kleingedruckten auflisten werde (bitte bis zum Schluss lesen). Da komme ich ganz ohne Affäre ins Schwitzen. Immerhin ist das gratis.
Ich gehe ja keiner festen Arbeit nach, ich marodiere etwas umher, ziemlich liederliche Sache, diese Kunst, und das heisst auch: Mein Mann müsste für mein Fremdgehen bezahlen. Der Staat kann das ja nicht auch noch über Stipendien und Werkbeiträge finanzieren. Obwohl: Ich würde die Beiträge gerne empfangen. Umfassende Inspiration soll das sein, vor allem in den besten Jahren. Ich bin doch in den besten Jahren, oder? Egal. Also, es geht nicht, dieses Fremdgehen, unter dem Zaun grasen etc. Weil es eben so wahnwitzig teuer ist. 
Mein Mann könnte selbsttragend fremdgehen. Vielleicht macht er das auch einmal oder hat es schon gemacht, und ich muss sagen: Ist okay, solange er nichts sagt, denn er ist ja der Typ Mann, den das pro Jahr ca. 120 Franken kostet. Meine Aprikosenwähe kriegt eh keine hin, da ist sie nach einem Mal aus dem Spiel hahaha Tut mir nicht weh (aber ihm). Soll er doch. Ich würde es vielleicht auch tun, wenn es so sensationell billig wäre. Ihn schlüge ich natürlich sofort tot, wenn er fremdgegangen wäre oder einmal daran gedacht hätte – auch im Traum oder als er  mich noch gar nicht kannte. Klar. Aber das ist jetzt nicht das Thema. Mir würde eh vergeben. Moralisch. Denn die Moral ist immer auf der Seite des Moralischen. Und der Frauen. Auf dieser Schiene steht dem Fremdgehen gar nichts im Wege. Wäre da nicht der schnöde Mammon!
Ich fühle mich benachteiligt. Als Frau am Rande der finanziellen Möglichkeiten. Nur schon die neue Unterwäsche. Ich würde im Wahn ja den ganzen Agent-Provocateur-Laden räumen (darunter mach ichs nicht, wenn schon, dann schon, sonst kannst ja vor der Glotze hocken bleiben, nicht?), also meine Grösse und alles noch in einer Grösse kleiner, weil ich vor Aufregung und Abenteuer nichts mehr essen könnte und neu immer den Bauch einziehen würde (Kostenpunkt: 1500.--), aber ein Fitnessabo müsste trotzdem sein (980.--), dünn ist out, schlank und Muskeln sind in, Booty muss gaaaanz nach oben, habe ich mir gemerkt. Dazu ein paar Trommeln Proteine aus good old Amerika (890.--) und clean-eating von morgens bis abends (Mehrkosten: 100.-- pro Woche, macht 5200.--) private Pilates- und Yogastunden (820.--). Alles per annum. Eine Affäre dürfte nicht länger gehen, sonst wäre sie ja vielleicht keine mehr, was natürlich billiger wäre, aber das habe ich ja schon. Und dann wäre es doppelt billig, das finde ich etwas unpoetisch. 
Weiter: neue Garderobe (ohne Schuhe: 5400.--, kann ja nicht in H&M/C&A/Coop/Migros/Zara/Tally Weijl ankommen, hey!, was denkt der dann von mir, der Schweizer Qualitätsmeister?), Schuhe (3200.--), Haarentfernung alle drei Wochen, 52 durch 3 gleich ca. 7 x 200 gleich 1400.-- (mit Brazilian sowie Oberlippenbart, Kinnhaare und Augenbrauen zupfen), Permanent-Makeup (Lippen mit Shades, unterer und oberer Lidstrich, Augenbrauen Diamantblading, 2500.--), ein paar Shots Botox (überall, wo möglich) und Filler (das beste Zeug auf dem Markt), insgesamt 4500.--. Maniküre/Pediküre mit Gelnägeln beziehungsweise Shelllack (1200.--), Coiffeur, waschen, Pflege, färben, schneiden, stylen alle fünf Wochen à ca. 200.-- (2000.--), Reparatur-, Boost-, Peel-, Bleich-, Hydra-, Nähr-, Klärkosmetik (1800.--), dekorative Kosmetik (850.--). So. Macht für die Nebenkosten rund 33’000 Franken. Mit den Fixkosten: 43'000. Mit dem Unvorhergesehenen: 50'000 Franken. 
Also für die totale Selbstaufmöbelung: gar nicht so schlimm. Ich überlegs mir. 
Vielleicht schreibe ich auch nur ein Buch darüber. Den Titel hätte ich schon: Fremdgehen. 

Riet und Romana Ganzoni

Romana Ganzoni (*1967, Scuol) ist Autorin und wohnt in Celerina/Schlarigna. Nach 20 Jahren als Gymnasiallehrerin schreibt sie seit 2013 Romane, Erzählungen, Gedichte, Essays, Kolumnen sowie für Radio und Bühne. Sie wurde für den Bachmannpreis nominiert, erhielt den 1. Preis beim Essay-Wettbewerb des Berner Bunds und ist Trägerin des Bündner Literaturpreises.